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Der Perfekte Mensch …

  • Autorenbild: Paul Wechselberger
    Paul Wechselberger
  • 1. März
  • 9 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 16. Mai

…existiert wahrscheinlich nicht. Jeder hat andere Qualitäten, kann verschiedene Dinge und hat natürlich einen individuellen Charakter. So auch alle Assistenten und Pfleger, die wir bisher kennengelernt haben. Wenn es möglich wäre, von jedem nur die besten Eigenschaften herauszupicken, könnte man sich vielleicht die perfekte Assistenz- und Pflegeperson basteln. Aber das wäre doch langweilig! Wer mich kennt, weiß, dass ich für meine Texte lieber die Makel betrachte, da diese mit zur Realität gehören, der Geschichte eine gewisse Spannung geben und eine ergiebige Quelle für einen humorvolle Erzählstil sind. Ich werde für diesen Text also diese Makel von gleich mehreren Leuten kombinieren, um damit gewissermaßen das Gegenstück zum perfekten Menschen zu kreieren. Ich werde jedoch nur Dinge auswählen, die bisher nicht in meinem Blog stehen, da ich euch keine bereits bekannten Inhalte als neu verkaufen möchte. Wer also die wirkliche Antithese zum perfekten Menschen kennenlernen will, muss noch mehr lesen als diesen Text, und zwar die vielen langen Texte auf meinem Blog, die sich jeweils einer Person widmen. Nachdem ihr sie aufmerksam durchgelesen und euch jedes Detail gemerkt habt, müsst ihr euch am Ende vorstellen, dass das alles eine Person wäre. Dann erscheint in euren Alpträumen bestimmt das Ungeheuer namens „Gerhard-Manfred-Klothilde-Osman-Thusnelda-Frida-Berta-Daniela-Helena,…“

 

Es beginnt bei Lebewesen, Gegenständen und Lebensmitteln, mit denen mein Gesicht dank manchen Assistentinnen schon Bekanntschaft machen durfte. Einmal war es ein Staubwedel, aber keine Sorge, die Person meinte es nur als Spaß! Dafür, dass es nur ein Spaß war, fühlte sich der Staub in meinem Gesicht allerdings erstaunlich echt an. Die Zunge eines Hundes berührte auch schon zweimal mein Gesicht, da eine Assistentin ihren damals wenige Monate alten Chihuahua öfters zu uns mitnahm. Selbstverständlich hatte sie vorher gefragt, ob sie ihn mitnehmen dürfe. Für uns war es in Ordnung, denn wir haben an sich nichts gegen Tiere. Dass sie ihn mir wenige Zentimeter vors Gesicht hält, war dagegen nicht abgesprochen. Wenige Wochen später durfte ich das Ganze nochmal erleben. Diesmal war es eine andere Assistentin, die während der Ablöse kurz mit dem Hund spielte, ihn in den Arm nahm und mir direkt vor die Nase setzte. Natürlich leckte er mich wieder im Gesicht ab.

 

Noch perplexer war ich, als jemand unaufgefordert eine Dose Thunfisch öffnete und mir zum Riechen direkt an die Nase hielt, worum ich auch nicht gebeten hatte. Es war ohnehin sinnlos: Als ob ich den Geruch von Thunfisch, den ich im Moment sowieso nicht essen wollte, nicht schon kennen würde. Bevor ich aber überhaupt etwas sagen konnte, spürte ich schon das Öl auf Nase und Mund, welches sich rasch seinen Weg nach unten bahnte und auf meinem T-Shirt einen riesigen Ölfleck hinterließ. Da ich mit einer leichten Rückneigung im Rollstuhl saß, hatte die Person das Gefäß nämlich geneigt, um mir das Riechvergnügen noch einfacher zu gestalten. Eine grandiose Idee bei einer Dose, die randvoll mit Öl gefüllt ist! Es gibt aber immer auch eine positive Seite: Heißes Öl wäre viel schlimmer gewesen, also seien wir doch einfach froh, dass es sich um Öl mit Zimmertemperatur handelte!

 

Wasser ist da schon weniger problematisch für das T-Shirt. Wenn Leute versuchen, mir das Wasser zu reichen – mit einem Strohhalm – sind sie manchmal unaufmerksam oder ungeduldig und ziehen das Glas schon weg, obwohl der Strohhalm noch in meinem Mund steckt und ich noch gar nicht fertiggetrunken habe. Da sich im Strohhalm aber noch Wasser befindet, das nur durch die Sogwirkung meines Mundes getragen wird, sollte man das Glas wieder kurz drunter halten. Aber die meisten Menschen ziehen in dieser Situation den Strohhalm weg, wodurch das Wasser nach unten tropft und ich nass werde. Mit dem Strohhalm zwischen den Lippen kann ich jedoch eher schlecht reden und dem Assistenten sagen, dass er besser das Glas hinhalten sollte.

 

Beim Zähneputzen kann ebenfalls so manches schieflaufen, zum Beispiel, wenn man eine elektrische Zahnbürste einschaltet, bevor sie im Mund ist, denn das gibt schöne Spritzer. Aber auch bei der normalen Handzahnbürste hat es schon jemand geschafft, dass die Zahnpasta hinuntergefallen und auf meinem T-Shirt gelandet ist. Da mein Bruder und ich unterschiedliche Zahnpasten verwenden - einfach aufgrund persönlicher Präferenz - kam es in der Vergangenheit hin und wieder zu Vertauschungen. Da mir Geschmack und Konsistenz der Zahnpasta meines Bruders sehr missfallen, bemerke ich derartige Fehler sofort und kann es den Assistenten gleich rückmelden. Eine Assistentin antwortete auf meinen Hinweis mit einer Aussage, die ich ziemlich daneben fand: „Das ist doch nicht schlimm, du bist ja schon groß!“ Ich war tatsächlich schon 21 Jahre alt. Allerdings darf man auch als Erwachsener einen bestimmten Geschmack eklig finden und sich gerade als Erwachsener selbst seine Zahnpasta aussuchen.

 

Besonders stehe ich auch darauf, wenn jemand mit einer zweiten Person über meinen Bruder und mich redet und dabei für uns das Wort „Kinder“ benutzt. Das passiert nämlich manchmal immer noch. Wenn die Person mit unseren Eltern spricht, kann ich mir selbst zumindest irgendwie einreden, dass es akzeptabel ist, denn wir sind ja tatsächlich ihre Kinder. Natürlich könnte man auch in dieser Situation einfach unsere Namen nennen. Wer das Wort jedoch im Gespräch mit sonst jemandem verwendet, erntet von mir dafür noch mehr Unverständnis. Als eine Person vom Gegenüber daran erinnert wurde, dass wir doch keine Kinder seien, antworte sie schnell: „I weiß, es sind Jugendliche…“, was leider auch nur bedingt stimmte, da ich – der Jüngere von uns beiden – schon 21 war. Noch lustiger ist es, wenn die Person, welche die andere korrigiert, es selbst auch nicht richtig sagt: „Warum sagst du Kinder? Es sich doch Jugendliche!“ Das ist gerade erst vor ein paar Wochen passiert.

 

Für ganz kurze Zeit hatten wir einen eigentlich schon pensionierten Pfleger, der bei uns ein paar Nächte übernehmen und sich dadurch etwas dazuverdienen wollte. Er nannte uns zwar nicht Kinder, zeigte dafür aber auf andere Weise, dass er uns nicht gerade für kompetente junge Erwachsene hielt. Letztlich kam er insgesamt vielleicht an zwei, drei Nächte innerhalb eines Monats, ehe er aufgrund einer Operation für mehrere Wochen außer Gefecht gesetzt war. Danach ergab sich aber nichts mehr, denn so dringend brauchten wir ihn doch nicht und auch ihm schien es nicht mehr so wichtig zu sein. So ganz hatte er für uns ohnehin nicht gepasst, obwohl er sich beim ersten Treffen aufgrund seiner jahrzehntelangen Erfahrung sicher war: „Ihr werdet mit mir auf jeden Fall zufrieden sein!“

 

Wenn er abends bei uns ankam, musste er sich erstmal umziehen, denn damit wir noch stärker sehen konnten, wie professionell er arbeitete, durfte die komplett weiße Arbeitskleidung nicht fehlen. Unserer Meinung nach sah er damit eher aus wie ein Bäckermeister. Etwas seltsam fanden wir außerdem, dass er sich jedes Mal fast überschwänglich bedankte, wenn mein Bruder und ich nur normal mitteilten, was wir von ihm brauchten. Wahrscheinlich lag es daran, dass er uns selbst diese einfache kognitive Leistung nicht zugetraut hätte und jedes Mal aufs Neue positiv überrascht war, dass zwei junge Männer, die bereits studierten, auch das hinbekommen. Schon am Anfang, als unsere Eltern kurz etwas über unsere Krankheit erklärten, fragte er: „…und geistig?“ Es ist bisher äußerst selten vorgekommen, dass jemand so direkt eine solche Frage gestellt hat, noch dazu, wenn ich daneben saß. Wenn man bedenkt, dass Leute auch schon mal gefragt haben: „Und gehen sie auch in die Schule?“ oder uns angebissene Zuckerwatte „schenken“ wollten, war das dagegen immerhin noch im Rahmen, denn er wollte sich ja nur informieren.

 

Eine Pflegerin, die wir länger hatten, verlangte nach ungefähr einem Jahr plötzlich eine Lohnerhöhung von 140 auf 200 Euro pro Nacht. Angeblich habe sie das auch schon abgesprochen mit der Leiterin der Organisation, die sie an uns vermittelt hatte. Sie wollte diese enorme Erhöhung unseren Eltern gegenüber vor allem damit rechtfertigen, dass sie nachts bis zu vierzehn Mal aufstehen müsse. Das war jedoch eher im Bereich der Märchen anzusiedeln, es hatte nur in den paar Wochen zuvor einzelne unruhige Nächte gegeben. In meiner unruhigsten Nacht brauchte ich sechsmal etwas von ihr, dreimal davon musste sie nur kurz einen Arm anders positionieren, da er mir Probleme bereitete. Mein Bruder brauchte vielleicht auch einige Male etwas, ob sie insgesamt wirklich 14-mal aufstehen musste, darf allerdings bezweifelt werden. Und falls doch, dann war das eine absolute Ausnahme, wohingegen sie so tat, als komme es immer wieder vor. Meinte sie etwa, mein Bruder und ich würden nicht mit unseren Eltern kommunizieren und ihre Lügen dadurch entlarven? Obendrein erfuhr meine Mutter am Tag danach – als sie bei der Organisation anrief -, dass ein Gespräch mit der Leiterin nie stattgefunden hatte. Unsere Pflegerin hatte das frei erfunden und als Druckmittel verwendet, in der Hoffnung, wir würden ihre Behauptung nicht hinterfragen.

 

Eine Gehaltserhöhung konnte sie sich also abschminken und weil wir kurz danach eine weitere Pflegerin vermittelt bekamen, die sehr viele Nachtdienste bei uns machen konnte, kam unsere „Lügenbaronin“ für längere Zeit nur noch selten zum Zug. Dass es nicht mehr Geld gab, schien sie zu akzeptieren, was zeigte: Sie wusste selbst, dass sie bei uns bereits gutes Geld verdiente und hatte einfach auf dreiste Weise versucht, sich noch mehr von uns zu holen. Sie glaubte, wir seien von ihr abhängig und rechnete offensichtlich nicht damit, dass wir so schnell noch jemanden finden würden. Die neue Pflegerin blieb allerdings nicht ewig bei uns, sodass die andere wieder öfter zu uns kam. Irgendwann startete sie einen weiteren Versuch, mehr Geld zu bekommen. Da es diesmal nur um zehn Euro ging – statt um 60 – gaben wir nach. Lange hatte sie davon letztendlich nichts mehr, denn ein paar Monate danach brauchte mein Bruder die invasive Beatmung und hat seitdem durchgehend eine Intensivpflegeperson, die nachts auch für mich zuständig ist. Diese Pflegerin, die mehrere Jahre bei uns war, ist nun also komplett weg.

 

Manche Menschen, die zu uns kamen, waren nicht immer besonders motiviert. Ein sehr einprägsames Beispiel war eine Familienhelferin, die im Rahmen eines Praktikums einen Monat lang mehrere Nachmittage pro Woche mit meinem Bruder und mir verbrachte. Obwohl es über fünfzehn Jahre her ist, erinnere ich mich genau, dass sie an manchen Tagen beim Blick auf die Uhr erleichtert verkündete: „In zwei Stunden darf ich gehen!“, als hätte sie nicht gerade viel Lust, bei uns zu sein und würde sehnsüchtig darauf warten, wieder in die Freiheit entlassen zu werden. Eine andere Familienhelferin zeigte zwar mehr Einsatz, doch ihre Intelligenz hielt nicht so ganz mit. Als sie neben meinem damals vielleicht achtjährigen Bruder saß und ihm dabei zuschaute, wie er mithilfe einer drehbaren, runden Schablone mehrmals dasselbe Muster auf ein Papier malte, fragte sie ihn mit deutlicher Verwunderung: „Hä, wie MACHSCH du dees??? Um mit dem Lift ins Erdgeschoss zu gelangen, brauchte sie einmal drei Versuche! Erst kam sie im ersten Stock an, dann beschoss sie, auf „minus 1“ zu drücken, denn „1“ war ja falsch, also musste „minus 1“ das Gegenteil bedeuten und damit richtig sein. Leider fand sie sich im Keller wieder und musste ein drittes Mal in den Lift einsteigen.

 

Vielleicht ein bisschen intelligenter, aber nicht weniger speziell war eine Dame, die ein paar Jahre lang als Hausfriseurin zu uns kam. Sie wohnte keine hundert Meter von uns entfernt, was ziemlich praktisch war. Einmal tröpfelte es jedoch leicht, weshalb sie anrief und meinte, dass sie vielleicht nicht kommen könne, da sie keinen Regenschirm habe. Obwohl sie nicht viel Geld hatte, kaufte sie oft Tierfutter, um verschiedene umherstreunende Tiere zu füttern. Teilweise durfte sie das eigentlich gar nicht und erzählte sogar, dass sie deswegen einmal von der Polizei wegrennen musste. Manchmal hatte sie nicht viel Zeit zum Schlafen, weil sie danach noch ihre Träume deuten musste. Beispielsweise träume sie manchmal von Jesus.

 

Was jemand über das Tierefüttern oder Jesus erzählt, interessiert mich persönlich eher wenig. Für das Thema Fußball brenne ich hingegen sehr, weshalb immer wieder Leute versuchen, Fußball-Talk mit mir anzufangen, auch wenn sie nicht besonders viel Ahnung haben. Ein Teil davon glaub aber noch, sich auszukennen, und bringt dann manch schlauen Spruch. Als zum Beispiel bei einem Fußballspiel im Fernsehen der Ball nach dem Schuss einen Gegner berührte und anschließend ins Toraus geriet, beschrieb der Kommentator die Situation folgerichtig mit dem Begriff „abgefälscht“. Die anwesende Assistentin war allerdings der Meinung, dass dieses Wort überhaupt nicht passte: „Abgefälscht? Vorbei isch er halt ganga!“

 

Ein häufiges Problemfeld ist, dass manche Leute scheinbar einfach nicht den Unterschied zwischen Nationalmannschaft und Club verstehen wollen. Diese wundern sich jedes Mal, wenn zwei Club aus demselben Land gegeneinander spielen und um ihrer Verwirrung Ausdruck zu verleihen, kommen sie dann mit zweifelhaften Vergleichen, die zeigen sollen, wie seltsam das doch sei: „Komisch: Des isch jo wie, wenn Österreich gegen Wien spiela würd!“ Eine Person meinte sogar, dass Club und Land dasselbe seien: „Ah, Deutschland is Bayern!“ Sie glaubte also, „Deutsche Nationalmannschaft“ sei einfach eine andere Bezeichnung für „FC Bayern München“. Da wundert einen auch nicht mehr, dass sie auf einem Mannschaftsfoto des FC Bayern in einer Zeitung nach dem damaligen deutschen Bundestrainer suchte: „Wo is denn da der Fesche, der Löw?“

 

Das meiste in diesem Text ist recht harmlos im Vergleich dazu, wie sich manch andere verhalten haben. Das ein oder andere „Schlimme“ habe ich aber auch hier gezeigt. Ein Grund, warum in letzter Zeit Texte gekommen sind, die von vielen verschiedenen Menschen handeln, ist, dass ich so viele Dinge schildern kann, ohne alle Fehler einer einzigen Person auf einmal aufzuzählen. Vielleicht werde ich manchmal aber doch wieder einen einzigen Menschen zum Hauptdarsteller eines Textes machen…

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1 Kommentar

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Gast
07. Mai

Bei der naechsten Stellenausschreibung fuer einen Assistenten oder eine Assistentin, miuesste man, "Fußballkenntnisse erwuenscht" hinzufuegen. Vielleicht haette man ja mehr Glueck. LG, Juergen

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