Selbst die normalsten Dinge der Welt sind manchmal ein Abenteuer!
- Paul Wechselberger
- 12. Okt.
- 14 Min. Lesezeit
Zum Schlafen bin ich auf die Unterstützung eines Beatmungsgeräts angewiesen, welches sicherstellt, dass ich über Nacht genug Luft bekomme und somit ausreichend mit Sauerstoff versorgt werde. Die Luft kommt dabei aus einem Schlauch, an den eine Maske angeschlossen wird, die an meinem Kopf befestigt ist und den Bereich rund um meine Nasenlöcher umschließt. Ich atme nachts also ausschließlich durch die Nase. Bald ist es vier Jahre her, dass ich damit angefangen habe. Warum brauche ich das überhaupt? Bei meiner Krankheit nimmt die Muskelkraft immer mehr ab. An der Atmung sind ebenfalls Muskeln beteiligt, und auch diese werden bei mir mit der Zeit schwächer. Irgendwann werde ich auch am Tag Beatmung brauchen, aber noch ist es nicht so weit.
Ich könnte jetzt versuchen, euch ganz genau zu erklären, wie sich die Beatmung anfühlt. Aber Beschreibungen sind immer subjektiv und wenn man selbst weit weg von dem Thema ist, kann man damit möglicherweise nicht viel anfangen. Deswegen nehme ich euch stattdessen mit auf eine Reise: Sie beginnt bei meiner ersten (denkbar schlechten) Erfahrung mit einem Beatmungsgerät und führt euch bis in die Gegenwart.
Zum allerersten Mal probierte ich ein solches Gerät im September 2019 bei einer Schlafuntersuchung aus. Ich fand es furchtbar! Es fühlte sich für mich ein bisschen so an, als würde man in einem Meer voller Luft ertrinken! Das ist vielleicht etwas zu dramatisch formuliert, aber wie wäre es damit: Mir kam es so vor, als würde ich vor lauter Luft schlechter Luft bekommen, was sich völlig unlogisch anhört. Damals brauchte ich so ein Gerät nachts aber auch noch nicht so dringend. Ich musste es also nicht lange anbehalten und stattdessen wurde über Nacht gemessen, wie es mir beim normalen Schlafen ohne Beatmung ging. Das Ergebnis war zufriedenstellend.

Ich wusste zu dem Zeitpunkt nicht, dass ich nur drei Monate später erneut eine Nacht im Schlaflabor verbringen würde. Doch nach meinem schweren Atemwegsinfekt im November 2019 wurde entschieden, dass ich doch schon so ein Beatmungsgerät bekommen sollte, um zumindest im Krankheitsfall jederzeit darauf zurückgreifen zu können. Es ging also Anfang Dezember wieder ins Schlaflabor. Diesmal wusste ich, dass ich mich nicht vor der Benutzung drücken durfte, was aber gar nicht so schlimm war, denn während ich im September noch nie zuvor ein Beatmungsgerät benutzt hatte, sah das mittlerweile anders aus: Im November war ich auf der Intensivstation zwölf Tage lang fast durchgehend an irgendeinem Gerät gehangen, das die Atmung unterstützte.
Für die Schlafuntersuchung mit Beatmung nahm ich diesmal eine andere Maske. Eine mit zwei kleinen Öffnungen, die direkt in die Nasenlöcher gingen. Diese kam nämlich am ehesten an das heran, was ich auf der Intensivstation zeitweise gehabt hatte. Zwar fand ich die ganze Angelegenheit wieder ziemlich unangenehm, aber ich schaffte es, damit einzuschlafen. Somit konnte die Messung zumindest für ein paar Stunden laufen.

Kurze Zeit später bekam ich für zu Hause ein solches Gerät, welches erstmal knapp zwei Jahre lang im Schrank stand, bis ich tatsächlich begann, es zu benutzen. Damals, als ich es bekommen hatte, war meine Atemkraft nachts ja noch (mehr oder weniger) ausreichend gewesen, dass ich es noch nicht dringend nötig hatte. Der Umstand, dass ich das Gerät erstmal „nur für den Fall“ bekam, war psychologisch nicht unbedingt günstig. Dadurch war es etwas schwierig, den Zeitpunkt zu erkennen, an dem es nicht mehr heißen würde „nur im Krankheitsfall“, sondern es nachts generell notwendig werden würde. Als mein Bruder ein paar Jahre früher mit der nächtlichen Beatmung begonnen hatte, war die Sache eindeutiger. Noch bevor er überhaupt ein Beatmungsgerät hatte, wurde während einer Schlaflaboruntersuchung festgestellt, dass ihm ein solches guttun wurde. Sobald er sein Gerät zu Hause hatte, war also von vornherein klar, dass er mit der Benutzung sofort anfangen „musste“.
Ich denke aber, dass es mir selbst unter diesen Umständen schwergefallen wäre, es direkt zu akzeptieren, und ich wahrscheinlich mindestens ein paar Wochen gebraucht hätte, um mich langsam zu gewöhnen. Zu meinen individuellen Umständen kamen also noch meine in diesem Bereich eher verdrängende Art und Abneigung gegenüber bestimmten, einschneidenden Veränderungen dazu, was dieser Hinsicht natürlich auch nicht weiterhalf.
Spätestens ab Sommer 2021 hätte mir langsam klarwerden müssen, dass es für mich an der Zeit war, mit der nächtlichen Beatmung zu beginnen. Nicht selten wachte ich mitten in der Nacht mit leichtem Übelkeitsgefühl auf und konnte mein Herz pochen hören. Es kam mir buchstäblich vor, als wachte ich wegen des lauten Herzschlags auf! (Was natürlich nicht wirklich so war.) Auch untertags spürte ich, dass etwas nicht in Ordnung war: Morgens nach dem Aufwachen war ich müde und hatte oft Kopfschmerzen, im Laufe des Tages spürte ich manchmal einzelne unregelmäßige Herzschläge.
Ich selbst kam aber nicht auf die Idee, mit der Beatmung anzufangen. Entweder brachte ich meine Symptome nicht mit der Notwendigkeit einer nächtlichen Beatmung in Verbindung, oder wahrscheinlicher: Ich sah die Beatmung als eine unangenehme bis furchtbare Sache an, für die ich mich nicht bereit fühlte. Somit versuchte ich, die Anzeichen zu verdrängen und mir einzureden, dass die Situation doch nicht so schlimm und die Beatmung noch nicht ganz so dringend sei.
Wer glaubt, ich hätte bis dahin aus früheren Ereignissen in meinem Leben gelernt, liegt leider nicht ganz richtig. 2013 hatte ich die massiven Probleme beim Gehen verdrängt und so lange einen Rollstuhl verweigert, bis ich mir bei einem Sturz den Oberschenkel brach. 2015, als ich die Herzmuskelentzündung hatte, wollte ich zunächst nicht verstehen, wieso ich - obwohl die Brustschmerzen bereits aufgehört hatten - ins Krankenhaus musste. Und 2019, in den Tagen vor meiner Einlieferung auf Intensiv, hatte ich den Ernst der Lage ebenfalls nicht richtig realisiert, was aber auch damit zu tun hatte, dass ich schon zu „krank“ war.
Ironischerweise fing ich im Herbst 2021 an, über diesen Atemwegsinfekt von 2019 zu schreiben. Ich war dran, die letzten Tage zu Hause zu beschreiben, an denen es mir gar nicht mehr gut gegangen war. Die Ironie dabei: In der Zeit, als ich das schrieb, realisierte ich gar nicht, dass ich gerade wieder Probleme hatte, die ich nicht richtig anerkennen wollte. Zwar war die Situation jetzt viel weniger akut, aber vom Prinzip her war es nicht unähnlich.
Meine Mutter war es, die mir immer wieder eindringlich dazu riet, das Gerät zumindest am Tag auszuprobieren, um mich so an eine Benutzung in der Nacht gewöhnen zu können. Von mir ging das nicht aus. Einmal willigte ich zunächst ein, machte dann aber, direkt, bevor die Maske kommen sollte, doch wieder einen Rückzieher, da mir das alles zu schnell ging und ich mich lieber ganz langsam und ohne Stress herangetastet hätte. Aber mein Vater hatte eher weniger Geduld für meine zögerliche Art. Unter diesen Umständen wollte ich nicht weitermachen, sodass ich das Gerät an diesem Abend letztendlich doch nicht ausprobierte.
Ein paar Tage später konnte ich mich doch dazu bringen und verwendete das Gerät zum ersten Mal nach der Schlaflaboruntersuchung, die bald zwei Jahre zurücklag. Für zehn Minuten. Dann hatte ich bereits genug. Ich fand das Hineinblasen der Luft vor allem nervig und störend. Besser Luft bekam ich dadurch – zumindest gefühlt – nicht. Nebenher schaute ich Fußball an, doch auch das konnte mich nicht ablenken. Stattdessen trug es noch zusätzlich zu meiner schlechten Laune bei: Mein Lieblingsteam FC Barcelona lag 0:2 zurück und strahlte kaum Torgefahr aus. (Es waren generell schwere Monate für den Club.)
In der nächsten Woche versuchte ich es wieder, schaffte eine Viertelstunde und meine Begeisterung hielt sich weiterhin in Grenzen. Einen Monat später war ich einmal beinahe so weit, den Anfang der Nacht mit Beatmung zu versuchen. Nachdem mein Vater mich ins Bett gelegt hatte und das Gerät bereits lief, fühlte ich mich doch nicht mehr wohl damit, die Maske für längere Zeit anzubehalten und ich brach den Versuch ab. Ich realisierte zwar langsam, dass die nächtliche Beatmung wirklich notwendig war, konnte mich aber dennoch nicht überwinden. Keine einfache Situation!
Am nächsten Tag hätte ich es untertags gerne noch einmal probiert, doch die Situation am Vortag hatte mich so sehr verunsichert, dass ich das Thema meinem Vater gegenüber gar nicht anbringen wollte. Ich fürchtete, er wäre wieder ungeduldig. Die einzige Möglichkeit, wie ich mich daran gewöhnen konnte, war, mir den Freiraum zu geben, es in meinem Tempo zu tun, selbst wenn das bedeutete, dass jeder kleine Zwischenschritt etwas länger dauerte, als es den anderen lieb gewesen wäre.
Erst nach einer Woche fühlte ich mich bereit, zumindest am Tag einen neuen Versuch zu starten. Diesmal änderte ich meine Herangehensweise: Statt von vornherein ein unwilliges, negatives Gefühl zu verspüren und mich in dieser Opferhaltung zu sehen, etwas Unangenehmes erdulden zu müssen, versuchte ich, die einzelnen Atemzuge zu analysieren und beim Atmen Verschiedenes auszuprobieren: Mal tief und aktiv Einatmen, mal die Maschine mehr arbeiten lassen. Ein paar Atemzuge schneller hintereinander, dann wieder etwas langsamer atmen.
Eine halbe bis dreiviertel Stunde lang trug ich die Maske und fand nach und nach immer besser heraus, was ich machen musste, um das „maschinenbetreute Atmen“ für mich möglichst angenehm zu gestalten. Ich versuchte, so gut es ging, dass mein eigenes Atmen und die Unterstützung des Geräts eine Einheit bildeten, denn nun hatte ich realisiert, dass ich mehr mit dem Beatmungsgerät arbeiten musste als dagegen und mich dank dieser Herangehensweise auch viel wohler damit fühlte.
Ich probierte auch aus, wie ich damit Sprechen konnte. Das war zuletzt nämlich ebenfalls ein Sorgenpunkt gewesen: Wenn ständig Luft in die Nase geblasen wird, ist das Reden anfangs etwas ungewohnt. Man möchte den Mund aufmachen und es strömt gleich die Luft raus, die durch die Nase hineinkommt. Auch deswegen hatte ich mich in der Vorwoche nicht dazu überwunden, über Nacht die Beatmung zu nutzen, denn ich war skeptisch, ob ich damit gut rufen könnte, wenn ich nachts etwas brauchte. (Mein Bruder konnte mit der gleichen Beatmung auch normal rufen, aber das änderte nichts an meiner Grundskepsis!) Auch hier kam ich durch Ausprobieren aber schnell drauf, wie ich fast normal sprechen konnte.
Ab jetzt wagte ich mich auch nachts an die Beatmung heran, zunächst nicht jede Nacht und wenn, dann meist nur die ersten zwei, drei Stunden. Anfangs brauchte ich deutlich länger, um einzuschlafen. Beim ersten Mal schaffte ich es gar nicht: Nach ein, zwei Stunden Wachliegen rief ich nach meinem Vater und er nahm mir die Maske ab. Im Vergleich zu kurz davor war das aber schon ein riesiger Fortschritt für mich!
Dass ich die Beatmung noch nicht die ganze Nacht durchhielt, hatte auch damit zu tun, dass sich die Maske, die ich benutzte, als doch nicht so ideal herausstellte. Die Bänder wurden an den Ohren befestigt, was mit der Zeit schmerzte. Außerdem rutschte die Befestigung an den Ohren ab, wenn mein Kopf zu viel bewegt wurde. Wir fanden zwar bald eine andere Befestigung, die jedoch auch Schmerzen verursachte. Aus diesem Grund bestellte ich schließlich eine komplett andere Maske. Anfang Jänner 2022 kam diese bei uns an und ich hänge seither immer die ganze Nacht an der Beatmung, die mich beim Schlafen bald kaum mehr störte.
Nach Beginn der nächtlichen Beatmung fiel mir klar auf, wie viel besser ich mich dadurch sowohl nachts als auch tagsüber fühlte. Es vergingen über eineinhalb Jahre, während derer ich nie mehr irgendwelche Ängste oder Unsicherheiten bezüglich der Beatmung verspürte. Vor etwas mehr als zwei Jahren, im August 2023, änderte sich das abrupt. Es war kurz vor Mitternacht und mein Bruder und ich lagen bereits im Bett in unseren Zimmern. Damals hatten wir über Nacht häufig eine Assistenzperson hier, die ich in meinen Texten, welche ich über sie verfasst habe, „Klothilde“ nenne. Direkt, bevor sich die Situation ereignete, war unsere Mutter kurz im Zimmer meines Bruders. Beim Verlassen verursachte sie irgendein Geräusch, welches Klothilde im Nebenzimmer schlagartig aufschrecken und „Scheiße!“ sagen ließ. Anschließend hörte es sich so an, als würde sie entweder wild in ihrer Tasche wühlen, oder mit einem Stecker an der Steckdose rütteln. Dann gab es ein leichtes Schnalzen und alle noch eingeschalteten Lichtquellen erloschen.
Was hat das nun aber mit dem Beatmungsgerät zu tun? Wie man sich bereits denken kann, waren die ausgehenden Lichter ein Indiz dafür, dass der Strom ausgefallen war. Da dieses Beatmungsgerät auch mit Strom aus der Steckdose läuft und keinen zusätzlichen Akku hatte, ging es ebenfalls aus. Das war nicht gut! Zwar war ich noch wach und brauchte das Gerät theoretisch nur im Schlaf, doch es gab zwei Probleme: Erstens rechnet man nicht damit, dass das Gerät plötzlich ausfällt und von einer Sekunde auf die andere keine Atemunterstützung mehr vorhanden ist. Natürlich wurde ich dadurch gestresst und hatte im ersten Moment ein wenig das Gefühl, mir bliebe die Luft weg. In so einer Situation sollte man versuchen, ruhig zu atmen, um wieder entspannter zu werden. Doch da die Maske für die Beatmung die Nase bedeckte, konnte ich nur durch den Mund atmen, was ebenfalls nicht ideal war.
Mein Bruder hatte damals über Nacht das gleiche Beatmungsgerät wie ich und kam untertags auch noch ohne Beatmung aus. Da er allerdings schon etwas mehr Beschwerden beim Atmen hatte als ich, dürfte es für ihn noch ein wenig unangenehmer gewesen sein.
Immerhin war unsere Mutter noch in der Nähe, konnte schnell die Sicherung einschalten , die für die gesamte Wohnung hinausgeflogen war, und sorgte so dafür, dass der Strom bereits nach einer Minute zurückkam und wir wieder Atemunterstützung hatten. Über Nacht blieb der Strom zum Glück an.
Nun hatte sich in meinem Gehirn eine neue Angst freigeschaltet. Zwar hatte das Herausfliegen der Sicherung seine Ursache höchstwahrscheinlich darin, dass Klothilde irgendwas an der Steckdose gemacht hatte, weil es ja genau zeitgleich passiert war. Aber sicher konnten wir uns nicht sein.
Die ganze Situation machte mir zum ersten Mal bewusst, dass Stromausfälle in der Nacht für uns verheerend sein konnten. Man möchte sich nicht vorstellen, es wäre passiert, während wir geschlafen hätten. Wie schlimm muss wohl das Gefühl sein, aufzuwachen, da man zu wenig Luft bekommen hat, und dann mit Schrecken feststellen zu müssen: Das Gerät läuft nicht! Ich müsste in so einer Situation erstmal auf mich aufmerksam machen, damit mir jemand zur Hilfe kommen und das Problem lösen könnte. Schon damals hatten wir fast für jede Nacht eine Pflegerin, was in solchen Fällen von Vorteil gewesen wäre, denn diese befand sich in einem angrenzenden Zimmer.
In der Nacht nach dem „Stromausfall“ hatten wir aber keine Pflegeperson da. Es gab also immerhin niemanden, der unmotiviert an Steckdosen herumhantieren konnte. Ein Stromausfall kann jedoch theoretisch jederzeit aus anderen Gründen passieren. Und wenn nur unsere Eltern zu Hause waren, deren Schlafzimmer weit von unseren Zimmern entfernt ist, wäre es dann schwieriger gewesen, ihre Aufmerksamkeit zu erlangen. Wir verwendeten ein Babyfon, sodass unser Rufen gehört wurde. Ob dieses bei Stromausfall überhaupt funktioniert hätte? Dementsprechend konnte ich in jener Nacht lange nicht einschlafen und lag lange Zeit wach, weil mich ein Gedanke beschäftigte: „Was, wenn es wieder passiert?“
Wenig später waren unsere Eltern für ein paar Tage auf Urlaub. An zwei Nächten waren wir allein mit Klothilde, wobei wir auch nicht das sicherste Gefühl hatten. Diesmal ließ sie die Steckdose aber in Ruhe und die Sicherung blieb zum Glück drinnen. Da wir sahen, dass ein erneuter Stromausfall wohl voraussichtlich nicht so schnell kommen würde, ließen meine Ängste nach etwa einer Woche wieder nach. Zweieinhalb Monate später passierte es aber erneut. Wieder war es am späten Abend, wieder lagen wir im Bett, schliefen aber noch nicht, als unsere Geräte ausfielen. Es war eine andere Pflegerin hier, die gleich zu unseren Eltern ging. Wie beim letzten Mal dauerte es nur eine Minute, bis das Problem behoben war.
Da Stromausfälle, wie schon erwähnt, auch aus anderen Gründen auftreten können – und dann nicht schnell durch Umlegen des Sicherungsschalters zu beheben sind - wurde der Versuch gestartet, externe Akkus für unsere Beatmungsgeräte von der Krankenkasse bewilligt zu bekommen. Irgendwie kam das Unterfangen auf halber Strecke aber zum Stillstand. Unser Vater, der sich als Arzt mit solchen Sachen eigentlich auskennen sollte, schrieb zwar etwas an die Krankenkasse, doch die weiteren Schritte wurden, warum auch immer, nicht zu Ende gebracht.
So einen Akku zu haben, wäre zwar nützlich gewesen, bei einem akuten Stromausfall mitten in Nacht hätte der externe Akku vielleicht aber ohnehin nicht sofort geholfen, denn dann hätte erstmal jemand den Ausfall bemerken müssen, und hätte erst dann den Akku verbinden können. Alternativ hätte man ihn sicherheitshalber jede Nacht anschließen können, doch ich weiß nicht einmal, ob dieses Atemgerät überhaupt zeitgleich an der Steckdose und am Akku hätte hängen können.
Vielleicht verlief sich die Akku-Sache auch dadurch, dass uns Anfang 2024 etwas anderes beschäftigte. Mein Bruder musste viele Wochen im Krankenhaus verbringen, da er nach einer ungeplanten Operation dauerhaft auf invasive Beatmung durch einen Luftröhrenschnitt angewiesen war. Bis ein Intensivpflegedienst für zu Hause bewilligt und organisiert war, den es bei dieser Art der Beatmung eben gut brauchen kann, erlebte unsere Familie drei sehr herausfordernde Monate!
Immerhin sind solche kurzen, akuten Stromausfälle für meinen Bruder kein Thema mehr, seit er invasiv beatmet ist, denn da diese Beatmung ausnahmslos immer funktionieren muss, ist es ein anderes Gerät, das auch einen integrierten Akku mit mehreren Stunden Laufzeit besitzt. Kommt kein Strom aus der Steckdose, übernimmt automatisch der Akku. Ein solches System wäre natürlich auch für mich ideal, denn ich müsste nicht mehr Angst haben, nachts, schlimmstenfalls im Schlaf, von einem Ausfall überrascht zu werden!
Es stellte sich später in diesem Jahr heraus, dass es so etwas für meinen Fall sogar gab, aber der Reihe nach: Etwa ab Ende 2023 oder Anfang 2024 bemerkte ich, dass ich mich am Tag müder fühlte als zuvor. Den Grund, welcher eigentlich recht logisch war, wusste ich zunächst nicht. Im Juni 2024 hatte ich eine stationäre Kontrolle in einem spezialisierten Krankenhaus in Wangen, um mein Beatmungsgerät und mich im Schlaf überprüfen zu lassen. Dadurch, dass mein Bruder wenige Monate zuvor in dieser Klinik gewesen war, wussten wir nun den idealen Ort, an den wir uns im Bereich Beatmung wenden konnten.
Im Schlaflabor zeigte sich, dass mein CO2-Wert deutlich zu hoch anstieg, da das Gerät zu schwach eingestellt war. Wenig verwunderlich, denn die Einstellungen stammten von Dezember 2019. Seitdem hatte ich keine Schlafuntersuchung gehabt und die Beatmungseinstellungen waren gleichgeblieben, während meine Atemkraft innerhalb dieser viereinhalb Jahre natürlich abnahm. Das war auch der Grund für meine Abgeschlagenheit gewesen. Das Gerät wurde daher nun stärker eingestellt. Auch bekam ich die Gelegenheit, ein anderes Beatmungsgerät auszuprobieren, um gegebenenfalls auf dieses umzusteigen. Bei dem Gerät bestand auch die Möglichkeit, es mit einem internen Akku ausstatten zu lassen.
Habe ich die Gelegenheit genutzt, auf das Gerät mit Akku umzusteigen, um mich nie mehr vor plötzlichen Stromausfällen fürchten zu müssen? Nein! Habe ich nicht! Zumindest noch nicht. Beim Ausprobieren spürte ich nämlich leichte Unterschiede im Vergleich zu meinem gewohnten Gerät. Da ich mich gleichzeitig noch an die stärkere Beatmungseinstellung gewöhnen musste, war mir beides zusammen zu viel Umstellung. Meine Nerven waren in diesen Tagen ohnehin schon recht strapaziert, weil eine sehr wichtige Funktion meines Rollstuhls defekt war, ohne die ich nicht länger als zwei Stunden am Stück im Rollstuhl bleiben konnte.
Dass ich den Wechsel nicht vorgenommen hatte, bereute ich in den Monaten danach nicht, denn ich dachte kaum mehr über einen möglichen Stromausfall nach. Das änderte sich jedoch dieses Jahr. Mehrmals verhielt es sich mit meiner Angst ähnlich: Ein, zwei Monate musste ich gar nicht daran denken, dann tauchte die Angst aus heiterem Himmel wieder auf und die Gedanken ließen mich teilweise eine Woche lang nicht mehr los. Da bereute ich dann doch, noch nicht auf das andere Gerät umgestiegen zu sein, denn dann hätte es diese Sorge nicht mehr gegeben.
Mein nächster Termin in Wangen war für Dezember 2025 geplant, doch so lange wollte ich nicht mehr warten. Diesen Sommer beschloss ich daher, dem Oberarzt ein E-Mail zu schreiben, um ihm mitzuteilen, dass ich jetzt auf das Beatmungsgerät umsteigen wolle, das mir schon ein Jahr zuvor empfohlen worden war. Schon bald brachte ein Vertreter der Firma, die für unsere Beatmungsgeräte zuständig ist, dieses neue Gerät mit dem Namen „Prisma Vent“ zu mir nach Hause. Bevor ich es aber verwenden durfte, musste ich damit noch eine Nacht ins Schlaflabor zur Kontrolle. Der Vertreter wusste das nicht und wollte mein altes Gerät gleich im Austausch für das neue einkassieren, doch ich konnte ihn erfolgreich davon abhalten.
Den Termin im Schlaflabor hatte ich einen Monat später, von 24. auf 25. September, also vor zweieinhalb Wochen. In den letzten Nächten vor dem Termin war meine Angst vor einem Stromausfall sehr gering. Warum? Ich benutzte seit deutlich über tausend Nächten Beatmung und nie war der Strom ausgefallen, während ich geschlafen hatte. Die Wahrscheinlichkeit, dass es in den nächsten Nächten passieren würde, sah ich daher als recht gering an. Mit dieser Prognose sollte ich recht behalten. Lustig – also eigentlich gar nicht lustig – wäre es gewesen, wenn ausgerechnet in der aller letzten Nacht ohne Akku der Strom ausgefallen wäre.
Während der Nacht im Schlaflabor lief das „Prisma Vent-Gerät“ einwandfrei und auch die vom alten Gerät übernommenen Einstellungen stellten sich für mich als immer noch passend heraus. Bei der „Prisma Vent“ ist ein Atemluftbefeuchter dabei. Für das alte Gerät gab es diese Möglichkeit zwar auch, aber man hätte das Befeuchter-Modul separat bestellen müssen, was wir nicht gemacht haben. Da sich meine Nasenschleimhäute diesen Sommer trocken angefühlt hatten, beschloss ich, die Befeuchtung in Anspruch zu nehmen, sobald ich das neue Gerät benutzte.
Momentan bin ich noch in der Gewöhnungsphase, was die Befeuchtung angeht. Manchmal schlafe ich mit, manchmal ohne Luftbefeuchtung. Ich tendiere jedoch langsam immer mehr dazu, die befeuchtete Atemluft als Vorteil zu sehen: Die Nase ist tatsächlich weniger trocken und wenn ich beim Aufwachen Schleim im Hals habe, ist er weniger zäh und löst sich leichter.

Vor dem Einschlafen im Bett zu liegen und die Gewissheit zu haben, dass meine Versorgung mit Atemluft auch dann noch sichergestellt ist, wenn mich die normale Stromversorgung im Stich lassen sollte, ist ein sehr wertvolles Gefühl, das ich jetzt umso mehr schätze, da ich es zuvor nie hatte! Da ich nun eine große Sorge los bin, haben in meinem Kopf jetzt wieder neue Sorgen Platz. Nicht, dass ich es darauf anlegen würde, aber ihr wisst ja, wie der menschliche Geist funktioniert: Er ist sehr gut darin, sich Ängste, Sorgen und Ähnliches zu suchen.






Lieber Paul,
Deine Berichte gefallen mir immer besser und dass Du Deine Ängste und Sorgen mitteilst, schafft ganz gewiss Verständnis und Mitgefühl 😉das braucht die Welt und die Menschengemeinschaft dringend 🍀🌸🍀danke!
Liebe Grüße
Erika
Wow! Sehr spannend zu lesen lieber Paul!