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Weniger starr denken, mehr auf die individuelle Situation eingehen! (Teil 2/2)

  • Autorenbild: Paul Wechselberger
    Paul Wechselberger
  • 27. Feb. 2024
  • 9 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 16. Mai

 

Bei all den Unterschieden zwischen den verschiedenen Menschen gibt es immer noch einzelne Eigenschaften, welche die meisten Assistenten, Pfleger und anderen Leute in unterschiedlichen Ausprägungen gemeinsam haben. Es handelt sich um ein von mir regelmäßig beobachtetes und auch erlebtes Phänomen, das mich innerlich hin und wieder mehr aufregen könnte als alles andere. Dabei kann man den Menschen die Denkweise oder das Verhalten erstmal gar nicht übelnehmen. Ich nehme das Ganze wahr als das Paradoxon, dass Menschen auf manche kleinen Dinge, die eigentlich kein Problem für mich darstellen und nicht wichtig sind, fixiert zu sein scheinen und sie total überproportional wahrnehmen. Andererseits sind ihnen manch andere Dinge, die zwar teilweise auch klein wirken, aber tatsächlich wichtig sind und für mich einen erheblichen Unterschied machen, nicht im Geringsten bewusst, sodass sie diese einfach übergehen würden, wenn ich sie nicht ausdrücklich auf sie hinweisen würde.

 

Wahrscheinlich kommt es nur mir paradox vor, denn irgendwo ist es logisch, dass eine außenstehende Person nicht alles über mich wissen kann: Sagen wir, ein Assistent schätzt in 80 Prozent aller Situationen korrekt ein, ob sie wichtig sind oder nicht. Da diese Momente also nach Wunsch verlaufen, muss ich nicht weiter über sie nachdenken und erinnere mich stattdessen nur an die restlichen 20 Prozent, bei denen der Assistent etwas falsch einschätzt.

 

Das allein stört mich auch relativ wenig, denn ich kann ja reden und den Personen sagen, auf was sie eher achten sollen. Dadurch lernen sie und können es beim nächsten Mal hoffentlich besser machen. Außerdem machen die Leute auch nicht gleich, was sie denken oder sagen: Zum Beispiel rutscht bei den Arbeiten, bei denen man vergleichsweise viel an meinem Körper bewegen muss, öfters mein T-Shirt nach oben. Verständlicherweise wollen es viele dann sofort wieder richten, da sie der Meinung sind, es könne nur äußerst unangenehm für mich sein, wie sie mir manchmal auch mitteilen. Weil das wieder Hinunterziehen des T-Shirts für mich aber noch unangenehmer ist und es bei jeder stärkeren Bewegung ohnehin wieder hinaufrutscht, ist es am sinnvollsten, man wartet möglichst bis zu Ende des Vorgangs und richtet es dann genau einmal. Ich antworte den Helfern also, dass sie zuerst mit etwas anderem weitermachen sollen, was sie in der Regel auch akzeptieren.

 

Was mich dann jedoch zurecht ärgert, ist, wenn ich sie darauf hinweise, dass ich einen bestimmten Handgriff möchte oder nicht möchte und sie danach immer noch ungläubig sind, es nicht nachvollziehen wollen oder können und beim nächsten Mal erneut die gleichen Zweifel haben. Am schlimmsten sind die – zum Glück äußerst seltenen – Momente, in denen mein Reden einfach ignoriert wird.

 

Wie man also sieht, gibt es dieses Phänomen in verschiedenen Varianten, von denen ich manche mehr, andere weniger schlimm finde. Harmlos ist, wenn jemand den Drang hat, einen zusätzlichen Arbeitsschritt auszuführen, der zwar nicht notwendig wäre, mir aber nicht schadet. Leider führen aber eben manche kleinen Handgriffe zu ungewollten Bewegungen, die unangenehm für mich sind und mir tendenziell eher doch schaden. Leichteste Lageänderungen können bei mir beispielsweise schnell zur Folge haben, dass ich in meiner Sitzposition erheblich an Stabilität verliere. Der Großteil der Leute meint es oft gut und denkt, diese Handgriffe würden mir helfen, obwohl das genaue Gegenteil der Fall ist, denn ich möchte ja gerade, dass sie diese nicht machen. Das ist die Ironie an der ganzen Sache, denn so führen gerade die gutgemeinten Aktionen dazu, dass ich eine Person womöglich als weniger angenehm empfinde.

 

Da diese Leute an sich sehr um mein Wohl bemüht sind und auch alles machen, was ich brauche, nur eben manchmal auch Sachen dazu, die ich nicht brauche, sind sie mir immer noch viel sympathischer als jemand, der unmotiviert, ungeduldig, grob oder gar unberechenbar ist. Solche „Fälle“ haben wir glücklicherweise nur ganz vereinzelt, und wenn, dann sind sie meist schnell wieder weg. So jemand könnte so wirken, als habe er keine Lust, die Arbeit zu machen, da er sie vielleicht schlampig macht, oder so schnell, dass es mich stresst, unangenehm ist, und ich mich total ausgeliefert fühle. Dort greift vor allem der zweite Teil meines formulierten „Paradoxons“, da solche Menschen in ihrer Halbherzigkeit gerne manche Schritte überspringen würden, die für meinen Komfort und manchmal sogar für meine Sicherheit wichtig sind. Ihnen ist eben oft nicht die Wichtigkeit dieser Dinge bewusst.

 

Natürlich gibt es manchmal auch Helfer, die zwar schon motiviert sind und es für mich angenehm machen wollen, denen es aber dennoch schwerfällt, auf alles Wichtige zu achten. Da kann es dann auch passieren, dass mir vor einzelnen Tätigkeiten etwas graut, weil ich weiß, die Person kann dieses und jenes nicht so gut. So könnte jemand, der ganz und gar nicht grob sein will, eine komplizierte Bewegung bei mir einfach nicht besser hinbekommen als so, dass ich währenddessen leichte Schmerzen oder zumindest innerlich Stress habe.

 

Ein besonders drastisches Beispiel, wie einerseits eine Kleinigkeit überhöht, andererseits etwas wirklich Ernstes kaum wahrgenommen wurde, ist mir von einem stationären Krankenhausaufenthalt im Jahr 2015 bis heute stark im Gedächtnis geblieben. Am ersten Tag hatte ich einen Herzultraschall, für den ich logischerweise mein T-Shirt ausziehen musste, sodass ich dann mit nacktem Oberkörper auf der Liege lag. Während der Untersuchung wies mich der Arzt darauf hin, dass man die Wärmelampe über mir einschalten könne, falls mir zu kalt sein sollte. Als ich jedoch dankend ablehnte, da mir wirklich warm genug war, versicherte er mir, dass es überhaupt keine Umstände machen würde, die Lampe einzuschalten, ich also nicht „Held spielen“ müsse. So nett, wie er es auch gemeint hatte, fand ich die Formulierung „Held spielen“ in diesem Zusammenhang doch reichlich übertrieben. Außerdem setzte sie einen falschen Maßstab für das tatsächlich Schlimme, was man im Krankenhaus manchmal über sich ergehen lassen muss, wie mir schon am nächsten Tag bewusst werden sollte.

 

Dort wurde für mich nämlich ein MRT-Scan angeordnet. Bis dahin hatte ich keine Erfahrungen damit und mir wurde kurz vor der Untersuchung gesagt, dass es in der Röhre eng sei und sehr laut werde. Ich war etwas aufgeregt und hatte vielleicht auch ein kleines bisschen Angst, was mich da genau erwarten würde, war aber recht zuversichtlich, dass ich es schon überstehen würde. Die ersten circa fünf Minuten liefen gut, die Enge schien mir keine Probleme zu bereiten und auch die Lautstärke war in Ordnung. Dann wurde es zum ersten Mal richtig laut: Schnell fühlte ich mich mehr und mehr gestresst, woraus bald Panik wurde. Das Atmen fühlte sich auf einmal immer schwerer an und es kam mir vor, als drücke eine Last auf meinen ganzen Körper. Für die Untersuchung hatte man mir einen Druckknopf in die Hand gegeben, mit dem ich mich bemerkbar machen konnte, falls ich ein Problem hätte. Erst kämpfte ich noch einige Sekunden mit mir, da ich nicht so schnell aufgeben wollte, doch dann überkam es mich und ich konnte gar nicht anders, als den Knopf zu drücken.

 

Die Person, welche die Maschine bediente, unterbrach also die Prozedur und kam zu mir, verstand aber noch nicht gleich, wie schlimm es für mich wirklich war, sodass sie mich noch kurz zum Weitermachen bringen wollte. Sie schien mich nicht sehr ernst zu nehmen, als sei ich ein kleines Kind, das sich bereits beim aller ersten Anflug von Unbehagen querstellt. So erklärte sie mir auch, dass man nach einer Unterbrechung von vorne anfangen müsse, es also umso länger dauere, je öfter man den Notknopf drücke. Dabei hatte ich ihn ja erst einmal betätigt, und zwar nicht zum Spaß, sondern aufgrund von Panik, wie ich sie noch nie zuvor erlebt hatte. Außerdem hätte ich eine ganze Stunde, die die gesamte Untersuchung reguläre gedauert hätte, niemals ausgehalten. Als ich sie darüber informierte, dass ich auf meinen gesamten Körper eine schwere Last drücken gespürt hatte, die mir das Gefühl gegeben habe, als könne man sich nicht bewegen, antwortete sie nur: „Man soll sich während der Untersuchung sowieso nicht bewegen!“ So viel wusste ich selbst, nur ist es eben ein Unterschied, ob man nur ruhig liegen soll, oder zusätzlich noch das Gefühl hat, nach unten gedrückt zu werden und dadurch auch schwerer atmen zu können.

 

Nachdem der Person klar wurde, dass ich nicht dazu bewegt werden konnte, weiterzumachen, war sie auf einmal verständnisvoll und merkte an, dass auch viele Erwachsene starke Probleme in der Röhre hätten. Interessanterweise konnte sie dieses Verständnis aber erst aufbringen, nachdem sie mir zuvor das Gefühl gegeben hatte, ich sei hypersensibel und begreife den Sinn der Untersuchung nicht. Die Erinnerung an die plötzliche Panik in der Röhre belastete mich in den folgenden Wochen und Monaten teilweise noch stark. Wenn es schon heldenhaft ist, sich in einem warmen Raum mit nacktem Oberkörper aufzuhalten, gibt es dann überhaupt ein Wort, das beschreiben kann, was ich in dieser Höllenmaschine erlebt habe?

 

(Über den gesamten Krankenhausaufenthalt 2015 werde ich wahrscheinlich irgendwann dieses Jahr auch noch einen eigenen Text veröffentlichen.)

 

Auch unflexible, starr denkende Menschen trifft man im Krankenhaus immer wieder an. Dazu fallen mir zwei Situationen ein. Vor acht Jahren hatte ich eine Knochendichtemessung, welche ähnlich wie ein Röntgen abläuft: Man legt sich auf eine Liege und das Messgerät fährt über einem hängend von oben bis unten entlang. Das Ganze ist nach einer Minute wieder vorbei. (Bereits mehrere Tage zuvor hatte mich mein Vater auf meine Frage hin, ob das denn wehtue, beruhigt: „Nein, da liegt man!“) Als die für das Gerät zuständige Mitarbeiterin aber erfuhr, dass meine Beine starke Kontrakturen haben, sie also nicht komplett ausgestreckt werden können, hätte sie am liebsten die gesamte Untersuchung abgeblasen. Um verlässliche Messwerte zu bekommen, muss das Körperteil nämlich flach liegen, was für die Beine nicht möglich war, für den restlichen Körper jedoch schon. Dass die Messung bei den Armen allein immer noch deutlich besser ist als gar keine Messung, war für sie nicht selbstverständlich. Zweifelnd meinte sie, die Untersuchung könne bei mir nur durchgeführt werden, wenn ein Arzt vorher bestätige, dass sie unter diesen Umständen überhaupt Sinn mache. Zum Glück ist mein Vater, der mich begleitete, auch Arzt und konnte ihr die Bestätigung direkt mündlich übermitteln.

 

Einige Jahre später musste ich für eine Schlafuntersuchung im selben Krankenhaus eine Nacht verbringen. Zum Schlafen wurde ich am Kopf mit mehreren Elektroden verkabelt. Auch sollte mir ein Gürtel, an dem ein kleines Messgerät hing, um den Oberkörper geschnallt werden, wobei der Diensthabende - ich weiß nicht, ob es ein Pfleger oder ein Arzt war – meinen Vater und mich informierte, dass die Patienten dafür normalerweise immer am Bettrand sitzen. Da ich bereits damals nicht mehr frei sitzen konnte, schon gar nicht ohne jede Stütze, und mein Rollstuhl der einzige Ort war, an dem das Sitzen bequem war, wiesen wir ihn darauf hin, dass ich den Gürtel besser im Liegen anziehen sollte. Daraufhin bekam er eine schmerzverzerrte Mimik und er beteuerte mit fast schon leidender Stimme, dass es nur am Bettrand sitzend möglich sei. Es wirkte ganz so, als würde ihm der reine Gedanke daran, dass irgendjemand es anders als gewohnt machen könnte, körperliche Schmerzen bereiten. Ich gab nach, auch wenn ich es nicht hätte tun sollen, denn nun war ich derjenige, der körperliche Schmerzen hatte. Obwohl mein Vater versuchte, mich am Rücken zu stützten, war es für mich eher eine Qual, besonders am nächsten Morgen, als man mir auch die Kabel vom Kopf entfernte, während ich mich in dieser äußerst unangenehmen Lage befand.


Als ich drei Monate später erneut ins Schlaflabor musste, hatte derselbe Mann Dienst. Diesmal war ich jedoch fest entschlossen, keine Qualen über mich ergehen zu lassen und setzte meinen Willen durch. Auch liegend war alles ohne Probleme machbar. Um mir den Gürtel anzulegen, musste mein Vater mich lediglich zwei Sekunden lang wenige Zentimeter anheben. Auch das Entfernen der Elektroden am Kopf funktionierte einwandfrei.

 

Am Ende trage ich die Hauptverantwortung für mein eigenes Wohlergehen, zumindest, was die beeinflussbaren Faktoren betrifft. Ich muss es selbst in die Hand nehmen, die Menschen eindeutig darauf hinzuweisen, wenn ich möchte, dass sie etwas anders machen. Häufig sind es jedoch nur Kleinigkeiten, die mich vielleicht dezent stören, weshalb ich mir nicht unnötig die Mühe mache, jedes Mal sofort etwas zu sagen. Darüber muss sich ein anderer aber nicht verkopfen, denn es ist in meiner eigenen Verantwortung. Dafür sollte man, wenn ich dann etwas sage, auch darauf eingehen.

 

Zugegebenermaßen rede ich lieber zu wenig als zu viel, wodurch ich nicht immer gleich zum Ausdruck bringe, wenn jemand bei mir etwas gegen meinen Willen macht. Zumindest nicht klar genug, dass die Botschaft nachhaltig beim Gegenüber ankommt. Dort habe ich also selbst noch Verbesserungsbedarf, wie auch meine Mutter findet. In den meisten anderen Situationen finde ich es allerdings in Ordnung, nicht übermäßig viel zu reden. Da die Assistenten normalerweise ohnehin tun, was ich ihnen auftrage, sind lange, detaillierte Begründungen nicht zwingend notwendig. Ich habe auch nicht immer die Energie dazu, da manche Vorgänge auch für mich anstrengend sind, sodass ich nicht daneben noch locker ganze Romane erzählen könnte. Detaillierte Begründungen sollten auch nicht nötig sein, denn angesichts meines Alters, meiner geistigen Kapazität und der körperlichen Situation müsste es eigentlich jedem klar sein, dass all meine Anweisungen ihren validen, wohlüberlegten Grund haben.

 

Abgesehen davon habe ich ein Recht auf Eigenständigkeit und Selbstbestimmung, wie sie auch ein physisch gesunder Mensch ausleben darf, dessen Körper alle gewünschten Bewegungen autonom ausführen kann, ohne, dass er dafür überhaupt mit irgendjemandem kommunizieren müsste. Da ich eben Hilfe brauche, ist klar, dass es in meinem Fall nicht ganz ohne Kommunikation geht. Sobald der Helfer mitbekommen hat, was ich von ihm möchte, sollte er aber nicht weiter hinterfragen, ob es wirklich das Richtige für mich ist, solange die Ausführung ihm möglich ist und er sich dabei selbst keinen Schaden zufügt.

 

Mit dem Titel will ich nicht sagen, dass alle Leute starr in ihrem Denken wären und vieles bei mir falsch machen würden. Das meiste läuft nämlich bereits in etwa so, wie ich es mir wünsche. Er ist einfach ein Grundsatz für alle, die jetzt und in der Zukunft bei uns arbeiten oder sonst mit uns zu tun haben. Wenn eine Assistenzperson sich noch verbessern möchte, sollte sie sich hauptsächlich an diesem Grundsatz orientieren.

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