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Wird es jetzt endgültig besser? - Teil 6

  • Autorenbild: Paul Wechselberger
    Paul Wechselberger
  • 6. Nov. 2023
  • 7 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 8. Nov. 2024

Mittwoch, 6. November

Es geht weiterhin bergauf, wenn auch eher minimal. Heute habe ich immer wieder Phasen, in denen sich viel Schleim bildet, den die Krankenschwester absaugt, indem sie mit dem dafür vorgesehenen dünnen Schlauch weit in den Hals hinunterfährt, für einen möglichst großen Effekt. Dabei bekomme ich oft einen Würgereiz, was ich, so seltsam das klingt, als etwas befriedigend empfinde, da ich merke, dass sich ordentlich was löst. Hin und wieder bewegt sich während des Absaugens so viel Schleim, dass ich für ein paar Sekunden nicht ordentlich einatmen kann und dadurch kurz ein unangenehmes Gefühl bekomme.


Im Verlauf des Tages wird ein Kind eingeliefert, wodurch ab dann beide Betten in diesem Zimmer belegt sind. Um eine gewisse Privatsphäre aufrecht zu erhalten, wird mitten in den Raum eine Art mobile „Trennwand“ oder Vorhang zwischen die ein Stück voneinander entfernten Betten gestellt. Da ich näher an der Türseite bin, blockt das Trennelement meine Sicht zu den Fenstern, sodass bei mir nicht viel Sonnenlicht ankommen kann.


Die letzten drei Tage haben mein Vater oder meine Mutter im selben Zimmer wie ich in einem Klappbett geschlafen. Das wird geduldet, solange ich der einzige Patient im Zimmer bin, doch jetzt ist ja noch jemand gebracht worden. Rechts neben mir wäre theoretisch immer noch genug Platz für das Klappbett, aber der diensthabende Krankenpfleger mit 34 Jahren Berufserfahrung macht meiner Mutter klar deutlich, wie unüblich es hier generell sei, dass ein Elternteil mit im Raum schlafe. Sie schein momentanen also eher unerwünscht zu sein, obwohl sie bzw. mein Vater durch ihre Anwesenheit dem Personal manches abnehmen: Im Bett liegend kann ich erst recht kaum irgendetwas allein machen und muss immer wieder die Position verändern, besonders bei dieser ungewohnten, „besonderen“ Matratze. Dadurch sind oft Handgriffe notwendig, welche die Pfleger übernehmen müssten, wenn meine Eltern nicht hier wären.


Der Pfleger weicht aber nicht ab von seiner Sicht und meint, dass er sich mit Patienten wie mir gut genug auskenne. Bei denen schaffe er es auch ohne die Hilfe der Eltern, die sich und ihren Kindern mit dieser Überfürsorglichkeit „nichts Gutes tun“ würden. Meine Mutter lässt sich so schnell nicht abwimmeln und erst recht nicht als übertrieben besorgtes Elternteil darstellen, weshalb sie zum Ausdruck bringt, dass es mir eben gerade schlecht gehe und man mich durch die Atemmaske kaum rufen höre. Solange keiner der Pfleger und Krankenschwestern im Zimmer sei, bliebe mir dann nichts anderes übrig, als zu warten, bis jemand zurückkomme… „Und Sie KÖNNEN ihn hören?!?“, wird sie von einer verwunderten Krankenschwester unterbrochen. Also muss meine Mutter auch noch erklären, dass es beim Hören einen Unterschied macht, ob man einen Meter daneben liegt oder sich in einem anderen Raum befindet.


Schlussendlich darf das Klappbett doch hierbleiben, zumindest für diese eine weitere Nacht. Immerhin ist der erfahrene Pfleger während der Nacht sehr involviert bei mir, da ich beispielsweise mehrmals den Cough-Assist brauche. Ich bin jetzt besonders motiviert, das Gerät zu benutzen, weil meine Mutter am Abend darüber geredet hat, dass sie bei einem Vortrag über die Krankheit von meinem Bruder und mir davon erfahren hat, wie jemand klare Anzeichen einer Lungenentzündung innerhalb von einem Tag fast komplett weggebracht hat - nur mithilfe des Cough-Assists. Hätte ich das bereits eine Woche früher begriffen, wäre mir der ganze Krankenhausaufenthalt möglicherweise erspart geblieben!


Donnerstag, 7. November 2019

Am recht frühen Morgen wird meine Mutter ziemlich forsch aus dem Schlaf gerissen: „Frau Wechselberger! Stehen Sie bitte auf!“ Der Grund, den man ihr zunächst gar nicht mitteilt: Bei meinem Zimmernachbarn muss etwas geröntgt werden (mit einem mobilen Gerät), wofür jeder, dem es möglich ist, den Raum verlassen muss. Dieser eher unsanfte Umgang ist ein weiteres Indiz dafür, dass mit im Zimmer schlafende Eltern nicht sehr erwünscht sind.


Wie schon vor fünf Tagen, wird heute der Versuch gestartet, auf die reine Nasenmaske umzusteigen, die Luft mit erhöhtem Sauerstoffgehalt in die Nase bläst. Ich soll also noch ein weiteres Stück mehr aus eigener Kraft atmen, was jetzt tatsächlich gut funktioniert. Mit dieser Maske, die leichter ist sowie am Kopf weniger stört, sitze ich auch gleich außerhalb des Bettes in meinem Rollstuhl, und zwar so lange wie seit fast zehn Tagen nicht mehr! Als ich bereits seit über einer Stunde sitze, gibt es Mittagessen, das ich nun aufrecht einnehmen kann, statt halbliegend und etwas instabil im Bett. Zwar kann man besser essen, wenn nur die Nase bedeckt ist, wie die Leute um mich herum momentan ständig betonen, doch ich finde es etwas herausfordernd und vor allem ungewohnt, die Nahrung zu schlucken, während gleichzeitig immer Luft zur Nase hineinströmt. Dazu werde ich vom langen Sitzen langsam erschöpft, da ich über eine Woche lang hauptsächlich gelegen bin. Diese Probleme nehme ich sehr wohl wahr, sie sind ja keineswegs überraschend.


Theoretisch könnte es den verschiedenen Personen schon auffallen, dass mir langsam eine Pause guttun würde. Denn sowohl die Atemmaske an sich, als auch, damit gleichzeitig mein Essen und Trinken zu schlucken, ist ganz neu für mich, weshalb ich immer wieder nachfrage, wie man genau einatmen und schlucken soll. „Einfach ganz normal.“, ist alles, was jemals als Antwort kommt, da die Leute der Meinung sind, ich würde mich nur zu sehr verkopfen. Dabei deutet genau das darauf hin, dass mir alles zusammen langsam zu viel wird, denn wenn es mir problemlos möglich wäre, auf Anhieb „ganz normal“ zu atmen oder zu schlucken, würde ich mir ja nicht solche Gedanken machen. Selbst wenn ich direkt darüber rede, bald wieder liegen zu wollen, wird mir kaum Beachtung geschenkt. Alle angezeigten Vitalwerte sind schließlich noch im grünen Bereich. Was spielt das Gefühl des Patienten da denn schon für eine Rolle?


Plötzlich bekomme ich ein unangenehmes Gefühl im Hals und oben rechts in der Brust. Schleim muss sich wohl an eine besonders ungünstige Stelle bewegt haben und kann sich nicht gleich lösen oder ein Biss Essen lässt sich nicht ordentlich herunterschlucken. Vielleicht kommt auch beiden zusammen. Daraus resultiert auf jeden Fall, dass ich – vor allem rechts - nicht richtig einatmen kann, also Atemnot bekomme, was bei mir in diesem Moment etwas Panik erzeugt. Vom Monitor, welcher mit dem Sauerstoffmessgerät verbunden ist und meine Sauerstoffsättigung anzeigt, ertönt ein Klingeln, weil die Schwelle von 90 Prozent unterschritten wird. In den nächsten Sekunden fällt die Sättigung weiterhin rasch ab, ist kurzzeitig sogar nur bei rund 70. (Vielleicht war es nicht ganz so schlimm und ich bilde mir diese dramatische Zahl nur ein.)


Um mir akut helfen zu können, werde ich in eine liegende Position geneigt. Da ich noch nicht meinen elektrischen Rollstuhl mit Liegefunktion habe, sondern einen normalen, kippt man dazu einfach den gesamten Rollstuhl ordentlich nach hinten. So wird der Rücken entlastet und der Brustkorb hat wieder mehr Platz, um sich auszudehnen. Dann benutze ich gleich den Cough-Assist, damit sich die Blockade richtig lösen kann und die Lunge kräftig belüftet wird. Der Sauerstoff erreicht dadurch wieder den Normalwert, doch um mich von all der Aufregung erholen zu können, legt man mich ins Bett und ich bekomme die Atemmaske der letzten Tage zurück, die über Mund und Nase kommt. Bis sich meine Herzfrequenz entschleunigt hat, dauert es eine Weile. Jetzt bin ich sehr erschöpf und möchte einfach nur meine Ruhe haben.


Ich meine, dass nach diesem Vorfall mit rapidem Abfall der Sauerstoffsättigung jedem klar sein müsste: Es war für mich alles zusammen zu anstrengend und meine Sorgen und Unsicherheiten hatten ihre Berechtigung. Hätte man ihnen früher Beachtung geschenkt, wäre es vielleicht erst gar nicht zu dieser äußerst unangenehmen „Schreckminute“ gekommen. Doch nicht alle sehen das so: Eine Krankenschwester empfiehlt mir später, mich weniger stressen zu lassen, indem ich einfach „nicht gleich immer so sehr auf meinen Körper höre.“


Hatte ich bereits zuvor das Gefühl gehabt, zu wenig ernst genommen worden zu sein, so wächst dieses Gefühl nun um ein Vielfaches: Ich habe gesundheitlich gerade die schlimmste Woche meines Lebens hinter mir, war die Verwendung dieses Atemgerätes kein bisschen gewohnt und befand mich in einer anstrengenden Position. Da könnte man mir wenigstens zugestehen, dass das, was ich fühle, real ist und auch die Atemnot durch etwas Reales hervorgerufen wurde. Stattdessen klingt ihre Aussage so, als sei ich selbst an meinem Problem schuld, da es nicht aufgetreten wäre, wenn ich weniger auf meinen Körper gehört hätte. Dabei hatte mich mein Körper ja eben schon vorher gewarnt, sodass genug Zeit gewesen wäre, mich ins Bett zu heben, bevor mir alles zu viel geworden wäre.


Mit etwas Abstand zu diesem stressigen Ereignis überlege ich, was die plötzlichen Atemprobleme verursacht haben könnte und wie wir meine Sitzposition beim nächsten Mal komfortabler gestalten können. Zu Hause oder in der Schule sitze ich so gut wie immer an irgendeinem Tisch, bei dem ich die Hände – manchmal auch die Arme – aufgestützt habe. Den Kopf und Teile meines Oberkörpers kann ich dadurch leicht nach vorne lehnen. Dazu kommt, dass ich hier im Krankenhaus außer einem dünnen, langen Nachthemd, das mir mindestens bis zu den Knien reicht, kaum etwas anhabe, was sich auf den Komfort sowie die Stabilität beim Sitzen negativ ausgewirkt hat. Ein Tisch würde mir auf jeden Fall schon erheblich helfen. (Die Beschreibung meiner normalen Sitzposition bezieht sich auf meinen damaligen Rollstuhl. Bei meinem jetzigen Elektrorollstuhl gibt es in dem Bereich deutliche Unterschiede.)


Der Rest des Tages verläuft ruhig und am Abend versuche ich ein paar Mal, für eine Minute ganz ohne Atemmaske auszukommen, was tatsächlich recht gut funktioniert. Natürlich liegt die Maske jederzeit bereit, falls ich sie brauchen sollte. Ich spüre jedoch deutlich, dass ich immer noch eine Menge Schleim im Hals habe und das komplett selbstständige Atmen für mich momentan sehr ungewohnt ist.


Für die Nacht probiere ich wieder die reine Nasenmaske aus, wobei ich diesmal genauer überlege und auch nachfrage, wie man sie optimal anwendet. Immerhin bekomme ich den Tipp, möglichst durch die Nase zu atmen, vor allem bei der Einatmung. Auch wenn man also manchmal durch den Mund ausatmen „darf“, entscheide ich mich ab diesem Zeitpunkt für reine Nasenatmung. Allerdings mache ich mir etwas zu viele Gedanken: Obwohl es gar nicht nötig wäre, meine ich, zum effektiven Einatmen die Nase „hochziehen“ zu müssen, was vielleicht sogar eher kontraproduktiv ist. Als ich für einige Minuten einschlafe, atme ich auf natürliche Weise richtig, was mir danach auch mitgeteilt wird. Dennoch frage ich nach, ob ich die Nase hochziehen soll.


Da mein Mund jetzt nicht mehr bedeckt ist und es mir auch sonst etwas besser geht, wird meine Mutter heute wieder in einem weiter entfernen Zimmer schlafen. Dafür wird mir versichert, dass immer jemand in Rufweite sein werde und mir jederzeit wieder die andere Maske geben könne, wenn ich es sage. Im Gegensatz zum Mittag wird die durch die Nasenmaske strömende Luft nun ein wenig erwärmt, damit sie zum Atmen nicht unangenehm kalt ist.


Fortsetzung folgt am 8. November…

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