top of page

Hauptsache gut Atmen können! Der Rest ist Nebensache - Teil 4

  • Autorenbild: Paul Wechselberger
    Paul Wechselberger
  • 3. Nov. 2023
  • 8 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 14. Okt. 2024

Sonntag, 3. November 2019

Heute Nacht schläft meine Mutter in einem anderen, etwas entfernten Zimmer, da es für sie dort ein Bett gibt, sodass sie nicht auf dem Sessel schlafen muss. Meine erste Erinnerung an die Nacht ist ein Traum, der sich an einem sehr schönen und einzigartigen „Ort“ abspielt, den man so sonst nur aus Bildern von Zukunftsvorhersagen kennt. Er befindet sich mitten auf einem großen Gewässer und ist eine riesige, schwimmende Art Glaskugel, die komplett geschossen ist und in der ich mich wie auf einem Deck befinde. Auch nach unten ist alles durchsichtig. Würde ein solches „Schiff“ in echt funktionieren, wäre es wohl eine unglaubliche Meisterleistung der Technik. Noch besser wird das Ganze dadurch, dass der Himmel völlig wolkenlos ist und das Wasser hellblau erstrahlt. Der ganze Traum dauert nur einige Augenblicke, dann beginnt direkt eine komplett neue Traumszene.


Diesmal befinde ich mich in einem Ballon, der über einer Stadt mit hohen Häusern schwebt, die mir nur ganz grob in Erinnerung sind. Auch vom Ballon ist ein großer Teil durchsichtig und sein Inneres hat etwa die Größe einer kleinen Wohnung und ist gestaltet wie eine Mischung aus meinem Krankenzimmer und einem Hotelzimmer. Es sind auch ein paar andere Menschen da und wie wir einige Zeit so herumschweben, bemerke ich nach und nach, dass der Antrieb des Ballons das Ein -und Ausatmen ist. Momentan scheine ich die Person zu sein, die den Großteil davon übernimmt. Da ich die Anstrengung der Atmung spüre, frage ich mich, warum ich es machen muss, trotz meinem körperlich gerade sehr schwachen Zustand. Die Hintergrundgeräusche sind die, welche man in der Realität auch im Zimmer der Intensivstation hört.


Es ist mitten in der Nacht, als ich nach diesem Traum langsam erwache und gleich fühle, dass mir recht heiß ist. Eine Krankenschwester fragt mich „seltsamerweise“, wie es mir gehe, was ich recht schnell damit beantworte, dass mich das Atmen momentan etwas anstrenge. Das liegt teilweise am jetzt sehr großen Druck, mit dem der Sauerstoff durch die Maske in Mund und Nase strömt. Während der folgenden Zeitspanne von vielleicht einer Stunde versucht die Krankenschwester gemeinsam mit einem Arzt, meinen im Moment wieder deutlich erhöhten CO2-Blutwert zu senken, indem sie immer wieder etwas Schleim im Hals absaugen und meinen Oberkörper irgendwie umpositionieren, doch sie können nicht viel bewirken.


Die Lichter, welche in dieser Zeit leuchten, haben keine schönen Farben und wirken sehr künstlich. Dass der Traum mit dem durchsichtigen Ballon nur eine Sequenz von wenigen Minuten war, kann ich jetzt kaum glauben, da es sich während jener Sequenz so angefühlt hat, als hätte ich die letzten Tage oder vielleicht sogar Wochen nie etwas anderes gemacht.


Meine Mutter wird extra aufgeweckt und ins Zimmer geholt, in dem ich liege, mit dem Ziel, dass sie besser weiß, was eine „vorteilhaftere“ Liegeposition für mich sein könnte. Für den Rest der Nacht bleibt sie hier. In der folgenden Zeit geht es für mich immerhin ohne Schleimabsaugen, jedoch stellt sich nach meinem Empfinden erstmal keine wirkliche Zustandsverbesserung ein. Bei den starken, „erzwungenen“ Atemzügen habe ich das Gefühl, besonders beim Ausatmen einen schmalen Grat zu wandern: Wenn ich zu wenig mit eigener Kraft „mitatme“, scheint der Schleim an einer Stelle zu bleiben und sammelt sich vielleicht an, atme ich zu stark, bewegt er sich möglicherweise zu weit und könnte in eine andere unangenehme Position gelangen. Obwohl die Atemunterstützung wohl gleichbleibt, kommt es mir nach mehrmaligem stärker Ausatmen vor, als würde es schwieriger, wieder weniger kraftvoll zu atmen. Wahrscheinlich liegt es daran, dass diese Atemzüge ähnlich wie Husten sind und daher einen leichten Hustenreiz erzeugen.


So durchlaufe ich immer wieder denselben Kreislauf: Ich versuche, etwas fester auszuatmen und habe mit der Zeit das Gefühl, die Atmung verstärkt sich immer mehr, während sie anstrengender wird, was sich an dem schnelleren Herzschlag und mehr Schwitzen zeigt. Dann versuche ich wieder, die Atmung langsam zu „bremsen“ und ruhiger zu werden. Die Sorge, mit dem Atmen vielleicht noch ernstere Probleme zu bekommen und dass der CO2-Wert vielleicht weiterhin schlecht bleibt, spüre ich währenddessen so, als wäre ich nicht direkt davon betroffen, aber immerhin ein naher Beobachter. Diese unbewusste Projektion auf eine vermeintlich andere Person zeigt sich auch auf eine andere Weise, denn in meiner Vorstellung läuft eine Art Film ab. Er ist gefühlt so deutlich wahrzunehmen, wie in einem lebhaften Traum und wirkt wie eine Dokumentation in Spielfilmform. Inhaltlich sind mehrere Dinge vermischt: Das ganze spielt irgendwann in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den USA und die Hauptperson hat nicht nur starkes Übergewicht und weitere gesundheitliche Probleme, sondern ist auch noch sozial benachteiligt und wird von der Polizei ohne berechtigten Grund verfolgt. Immer, wenn ich in echt gerade fester atme, sehe ich die Person, wie sie vor irgendetwas wegrennt.


Nach einiger Zeit legen sich meine Probleme etwas und ich kann wieder ein bisschen ruhiger schlafen. Doch auch wenn ich selbst spüre, dass es mir jetzt ein wenig besser geht, frage ich zur Sicherheit noch einmal nach, ob die Werte wieder normaler sind.


Am frühen Morgen unterhält sich meine Mutter kurz mit einer Krankenschwester und redet auch von meinem Bruder, wobei mir vorkommt, dass er irgendwie in der Nähe wäre, ich also für einen Moment vergesse, dass nur ich im Krankenhaus bin und er zu Hause ist.


Ich habe jetzt erneut ziemlich viel schleim im Hals, sodass man oft absaugen muss, was keinen direkt spürbaren Effekt hat, da er sehr zäh ist. Während des Absaugens, wobei die Atemmaske jedes Mal kurz entfernt wird, stört der Schleim meine Atemwege immer wieder so sehr, sodass ich einige Sekunden das Gefühl habe, kaum Luft zu bekommen. Deshalb ist es angenehm, wenn die Maske schnell wieder über Mund und Nase gehalten wird, um erstmal wieder einige stärkere Atemzüge „genießen“ zu können, wofür man sie zuerst ordentlich andrückt, um sie dicht anliegend befestigen zu können. Dabei nehme ich die Körperöffnung nicht explizit als Mund wahr, sondern es kommt mir vor, sie wäre direkt an meinem Rachen, nahe am Beginn der Luftröhre. Mindestens genauso seltsam ist mein wirrer Gedanke, dass eine derartige „Öffnung“ bei einer bestimmten Volksgruppe sehr häufig vorkomme.


Um den Schleim etwas zu lösen, soll mein Brustkork eingecremt und massiert werden. Um auch hinten gut dranzukommen, hat eine Krankenschwester den Plan, dass man mich am Bettrand aufsetzt. Selbst wenn mich jemand halten würde, bin ich sehr unsicher, ob das überhaupt funktionieren kann. Währenddessen habe ich wieder einen kurzen „Traum“ in einer Art Halbschlaf, in dem die Wand und der Boden zu sehen sind, die auch in echt hier sind. Allerdings sind im Boden kleine Öffnungen, wie bei Stehtoiletten, die nur aus einem Loch bestehen. Wie in einer Geschichtssendung, „erfahre“ ich, dass Menschen dort in vergangenen Zeiten seltsame Gymnastikübungen ausführen mussten. Der Traum kommt vielleicht daher, dass ich mir das am Bettrand Sitzen ähnlich unangenehm vorstelle wie besagte Übungen. Da es wie erwartet nicht wirklich geht, wird der Rücken in Seitenlage eingeschmiert und danach soll ich außerhalb vom Bett sitzen.


Nachdem mich mehrere Leute hinausgehoben haben - um auch das verletzte Bein zu stabilisieren - habe ich Probleme, den Kopf gerade zu halten, da die Maske und ihre Befestigungen ihn gefühlt viel schwerer machen und der angeschlossene Atemschlauch herumhängt. Die Kopflehne vom Rollstuhl ist daher nicht so gut nutzbar. Zu allem Überfluss ist bei der Kopflehne wohl irgendeine Schraube locker, denn nach vielleicht zwei Minuten rutsch sie herunter, was mir irgendwie vorkommt, als bräche sie einfach weg. So hat das ganze wenig Sinn, weshalb ich wieder zurück ins Bett komme.


Die nächsten Stunden bin ich sehr müde und auch immer wieder in einem Halbschlaf. Es kommt zu einem weiteren kurzen Traum mit „Dokumentarstimme“, in welchem ich, vielleicht dadurch, dass bei der Atemmaske der Druck verglichen mit letzter Nacht verändert wurde, erfahre, dass Toilettenspülungen früher mit höherem Druck betrieben wurden. Mit „früher“ ist in diesem Fall das 14. Jahrhundert gemeint, womit ich seltsamerweise ungefähr das Jahr 1994 verbinde. Im 15. Jahrhundert hätten sich die Toiletten verändert, wobei ich das Jahr 2003 im Kopf habe. Der Traum wird gerade richtig interessant, doch genau da endet er. Ich bin noch so in ihn vertieft, dass ich im Halbschlaf nochmal nachfrage, wann der Druck geändert wurde, und irgendwas von „14. Jahrhundert“ stammle. Meine Mutter versteht nicht, worüber ich rede, weshalb ich es passend finde, meine Frage zu wiederholen. Leider ist das genau die falsche Entscheidung, denn plötzlich leuchtet mir eine Krankenschwester in die Augen, um meinen Bewusstheitszustand zu überprüfen. Das Problem ist, dass ich denke, die Leute müssten nur meine Frage verstehen, um zu sehen, dass es mir „gut“ geht, während die anderen genau dieses Reden als Verwirrungsanzeichen interpretieren. Die Krankenschwester zeigt auf meine Mutter und fragt mich, ob ich weiß, wer sie sei. Da meine Antwort „Meine Mama“ nicht laut genug ist, schauen sie weiterhin besorgt. Erst, nachdem ich die Antwort etwas lauter wiederholt habe, ist ihnen klar, dass ich nicht völlig verwirrt bin.


Hinterher hat meine Mutter eine Erklärung für den Traum, die sie der Krankenschwester mitteilt: Ein Lehrer von mir sei schuld, da man bei ihm immer ganz viele Informationen in Stichworten zusammenfassen müsse, und das habe mich bis in meinen Traum verfolgt. (Siehe dazu Teil 1: Gewöhnliche Herbsttage)


Im Laufe des Tages kommt mein Vater und bringt auch von zu Hause unseren Cough-Assist mit, da dieser bei der Schleimlockerung hoffentlich mehr bewirken kann. Es gibt mehrere Gründe, warum ich die letzten Tage keinen Cough-Assist benutzen konnte: Im gesamten Krankenhaus gibt es genau einen: Der ist kaputt! Den von zu Hause braucht mein Bruder, da seine Verkühlung ebenfalls mit starker Schleimbildung verbunden ist, weshalb das Gerät nur ein paar Stunden bei mir bleiben kann. Die Bestellung eines neuen Cough-Assists für mir ist zwar in die Wege geleitet, doch erst nach dem Wochenende wird sich wirklich etwas tun und das Gerät kommt auch noch von irgendwo aus Tirol.


Um den Schleim noch effektiver zu lösen, verbindet man an den Beatmungsschlauch einen Behälter mit einer Inhalationslösung, sodass ich für einige Minuten den Dampf einatme. Direkt im Anschluss wird der etwas gelöste Schleim durch die tiefen, druckvollen Ausatemzüge des Cough-Assists weiter nach oben befördert. Auch wenn die Lockerung an sich positiv ist, bewegt sich immer wieder kurzzeitig so viel Schleim, dass die Atemwege gestört sind. Immer, wenn das Atmen kurz schwieriger wird, kommt mir das Gelenk eines Schwenkarms, an dem ein Computerbildschirm hängt, mit seinen Schraubenenden wie ein Gesicht vor, das mich hinterlistig anlächelt.


Gefühlt werden meine Atemwege den ganzen Tag ständig abgesaugt, was etwas unangenehm ist und insgesamt ermüdend wirkt. Eine Krankenschwester möchte auch in der Nase absaugen, wovon ich nicht begeistert bin, doch zumindest einmal willige ich ein. Die Absaugsonde wird tief in die Nase eingeführt, das Gefühl ist noch mal um ein Vielfaches unangenehmer als das andere Absaugen, jedoch scheint es zumindest ein bisschen was zu bewirken. Der gelockerte Schleim fühlt sich fast ein wenig so an, als hätte er einen Geschmack und als sei seine Konsistent wie „Bananenbrei“.


Aus der Maske entweicht am vermutlich späten Nachmittag (es wird draußen dunkler, die Uhrzeit ist mir allerdings komplett unbekannt) am Rand immer wieder ein wenig Luft, da sie nicht mehr so dicht sitzt, vielleicht bedingt durch das häufige kurze Entfernen. Das frustriert mich immer wieder. Um das Problem zu beheben, wird sie fester geschnallt, wodurch sie natürlich mehr Druck ausübt, vor allem auf den Nasenrücken.


Kurz vor dem Schlafen wird mir die Maske kurz abgenommen, um meine Zähne zum ersten Mal seit Freitagmorgen putzen zu können. Damit mein Vater, der jetzt bei mir ist, nicht auf dem Sessel oder in einem entfernen Zimmer schlafen muss, bekommt er ein Klappbett.


Fortsetzung folgt am 4. November…

Kommentare

Mit 0 von 5 Sternen bewertet.
Noch keine Ratings

Rating hinzufügen
bottom of page