top of page

Die Tage verschwimmen. Keine Besserung in Sicht. - Teil 2

  • Autorenbild: Paul Wechselberger
    Paul Wechselberger
  • 28. Okt. 2023
  • 9 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 16. Mai

(Immer noch) Montag, 28. Oktober 2019

…Etwas später muss ich pinkeln, wozu ich in meinem Rollstuhl etwas nach vorne gerutscht werde, während die Schultern zurückgelehnt auf den Seitenhalterungen aufgestützt sind. Dadurch bekommt man die (Harn-)Flasche nah genug an mich heran. Doch in dieser Position bekomme ich sofort noch schlechter Luft, sodass ich meinem Vater umgehend zu verstehen gebe, mich schnell auf das nebenstehende Sofa zu legen. So kann ich wieder etwas besser atmen und es ist mir liegend ebenso möglich, die Harnflasche zu benutzen. Den Cough-Assist (Hustenunterstützungsgerät) möchte ich noch nicht verwenden, doch nach einigem Überlegen finde ich einen Weg: Mein Vater soll mir die Maske nach meinem Zeichen andrücken und zeitgleich schon den Knopf drücken. Nach mehreren solchen Durchgängen lockert sich zumindest ein bisschen. Mittlerweile ist es früher Nachmittag und nach den Anstrengungen bin ich etwas müde, weshalb ich mich im Bett ausruhen möchte. Durch das Liegen auf meiner rechten Seite kann sich auch etwas Schleim lösen, da die Lunge der Seite, auf der ich mehr Schleim habe, so mehr Platz hat. Tatsächlich bewirkt es so viel Positives, dass ich das Bett am späteren Nachmittag wieder verlasse. Nachdem ich nochmal den Cough-Assist benutzt habe, esse ich einen Rest Kürbissuppe und Leberkäse. Besonders viel kann ich nicht essen, da der Schleim zwar nicht mehr so sehr die Atemwege stört, aber immer noch da ist und mir das Schlucken weiterhin erschwert.


Gegen 9 Uhr holt unser Vater unsere Mutter schnell vom Bahnhof ab. Zu der Zeit fühl ich mich gar nicht so schlecht und spiele am Laptop ein bisschen Fifa 15, merke aber schnell die Anstrengung. Von der Schokolade, die meine Mutter mitgebracht hat, möchte ich momentan nichts essen und da ich sehr müde bin, geh ich um halb elf ins Bett. Dort schlafe ich lange nicht ein, da ich wegen dem Schleim oft husten muss. Dieses Husten ist jedoch nur von sehr geringer Kraft und bewirkt allenfalls, dass ich mich noch mehr schwäche.


Dienstag, 29. Oktober 2019

Beim Frühstück probiere ich ein Stück Apfelkuchen, doch irgendwie fühle ich einen säuerlichen Geschmack im Hals, der wahrscheinlich mit Aufstoßen von den sauren Halstabletten zu tun hat. Vom Kuchen, der ebenfalls eine saure Note hat, bekomme ich kaum etwas herunter, weil auch der Schleim noch immer im Weg ist. Nachher muss ich „groß“ aufs Klo, wobei ich mich mit beiden Armen außen abstützen muss, um auf der Klobrille sitzend halbwegs genug Halt zu haben. Das Atmen fällt mir in so einer Position naturgemäß schwerer, aber für die kurze Zeit geht es noch.


Da die Verwendung des Cough-Assists allein nicht genug bewirkt (außer ich würde es jetzt noch deutlich länger und öfter machen), bringt mich meine Mutter dazu, doch mal das Inhalationsgerät herzunehmen. Das habe ich bisher noch gar nie gemacht, da das tiefe Einatmen des Nebels, der durch die Maske direkt vor Nase und Mund strömt, nach meinem Empfinden nicht angenehm sein kann. Dazu kommt auch noch der Krach, den die Maschine von sich gibt. Da mir das Atmen jetzt sowieso schon schwerer fällt, bestätigt sich meine Erwartung: Ich muss die Maske zwischendurch immer wieder weghalten und frage nach, wie lange ich noch muss, denn das bisschen Schleim, das sich lockert, ist nicht einfach aus dem Weg. Lange halte ich nicht durch, da mich das Ganze ziemlich anstrengt, was meinen Herzschlag immer wieder recht beschleunigt. Auch mein Husten danach ist sehr ineffektiv. Dass eine Verkühlung meiner Atmung so stark zusetzt, bin ich bis jetzt überhaupt nicht gewohnt, weshalb ich den Cough-Assist und das Inhalationsgerät nicht mit der nun nötigen Ausdauer verwende, weil das bisher nie notwendig war.


Einen Großteil des Nachmittags verbringe ich danach wieder im Bett, weil die Atmung im Liegen eben besser geht. Um zumindest etwas Schleim aus meinem Rachen zu holen, steckt mein Vater einen kurzen, dünnen Schlauch an eine Spritze und schiebt ihn leicht in meinen Hals. Es verursacht bei mir einen Würgereiz und viel Schleim wird nicht erwischt, weshalb ich halb zum Spaß und halb ernst sage, dass der Würgereiz mehr bewirke als das eigentliche Wegsaugen mit der Spritze. Meine Sauerstoffsättigung, die mit unserem Messgerät am Finger gemessen wird, ist zwar nicht grandios, aber auch nicht alarmierend niedrig.


Kommenden Samstag sollen meine Tante und mein Onkel hier sein, da unsere Familie zusammen in mein liebstes asiatisches Restaurant gehen wird, was schon länger ausgemacht ist. Eigentlich möchte ich mich darauf ja freuen, doch wie soll das werden, wenn ich jetzt solche Atemprobleme habe? Ich kann doch kaum eine Stunde am Stück sitzen, ohne völlig erschöpft zu sein oder Atemnot zu bekommen! Bleibt einfach zu hoffen, dass es mir bis in vier Tagen wieder bessergeht. Momentan fühlt es sich aber leider nicht so an, als käme schnell Besserung, auch wenn ich natürlich zu gerne daran glauben möchte. Man will doch schließlich positiv denken!


Am frühen Abend findet meine Mutter, dass mein Vater mit mir ins Krankenhaus fahren sollte, damit man sehen kann, ob ich vielleicht eine Lungenentzündung habe. Während sie gerade mit dem Kochen anfängt, machen wir uns beide auf den Weg dorthin. Zuerst macht man bei mir ein Lungenröntgen, auf dem man keine klare Entzündung sehen kann, und nimmt mir Blut ab. Auch ein Rachenabstrich wird gemacht. In der Zeit, in welcher wir auf das Ergebnis der Blutabnahme warten, bekomme ich ein Antibiotikum durch eine Infusion, für die mir in den linken Arm eine Leitung gelegt wird. Circa um 9 Uhr wird Barcelona gegen Valladolid spielen und ich frage mich, ob ich um die Zeit bereits in einem Krankenzimmer sein werde, in dem ich dann auch die Nacht verbringe. Von der Atmung her geht es mir im Sitzen momentan besser als zeitweise während des Tages. Die gemessenen Blutwerte sind eher unauffällig und so sind wir rasch wieder zu Hause.


Das Essen ist fertiggekocht, aber vorher muss ich noch pinkeln, wozu mich mein Vater ins Bett legen muss, wie gestern am Sofa. Wegen dem Schleim und der daraus resultierenden Schluckprobleme brauche ich lange für den Salat und bekomme von den Spaghetti Carbonara kaum etwas herunter. Bald danach lege ich mich wieder ins Bett. Eigentlich will ich nur kurz ausruhen, um danach das Fußballspiel anzusehen, doch daraus wird nichts, denn selbst im Liegen ist das Atmen noch recht anstrengend und nicht ganz leicht. Aus dem Wohnzimmer erklingt das Geräusch des Cough-Assists, den mein Bruder jetzt gerade sehr intensiv nutzt. Das zu hören, während man selbst mit zähem Schleim und Atembeschwerden im Bett liegt und auch dieses Gerät verwenden sollte, aber einfach zu erschöpft ist und kaum Kraft hat, sitzen zu können, fühlt sich nicht nur richtig schlecht an, sondern erzeugt bei mir auch eine Art Schuldgefühl: Wenn ich trotz der Müdigkeit inhalieren oder den Cough-Assist verwenden würde und das vor allem die letzten beiden Tage öfter gemacht hätte, könnte es mir jetzt vielleicht besser gehen. Gegen elf Uhr möchte ich nochmal kurz raus aus dem Bett, für mehr als ein paar Minuten und allenfalls eine schnelle Cough-Assist-Benutzung reicht es aber nicht.


Mittwoch, 30. Oktober 2019

Während Ich nach dem Aufstehen beim Frühstück sitze, jedoch fast nichts esse, frage ich meine Eltern, was ich machen soll, wenn ich groß aufs Klo muss. Ich glaube nämlich, dass ich auf der Toilette sitzend mit der Atmung noch mehr Probleme hätte als gestern. Meine Eltern finden, es würde schon klappen, wenn man mich festhält. Da ich jetzt sowieso nicht dringend muss, probiere ich es lieber nicht aus. Nach dem Frühstück verbringe ich eigentlich den ganzen Tag im Bett. Da ich die letzten Tage nur wenig gegessen habe, gibt mir mein Vater am Nachmittag eine Infusion mit Glukose. Am Abend bin ich kurz aus dem Bett draußen, um zu essen, doch es geht eher noch schlechter als gestern.


WirrNACHTen

Eine der drei folgenden Situationen ereignete sich vielleicht bereits in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch, aber ich kann mich auch täuschen:


Im Bett liegend wache ich ziemlich am Anfang der Nacht auf und bin noch im Halbschlaf. Vielleicht bin ich auch einfach verwirrt, da ich durch den vielen Schleim nicht so viel Luft bekomme und dazu übermüdet bin. Jedenfalls fühle ich mich mit meiner Decke eingeengt und steif, als wäre ich ein eingerollter Taco, gleichzeitig kommt es mir so vor, dass der Taco und ich zwei voneinander getrennte Dinge sind. Ich habe also das Gefühl, mich zu beobachten, aber gleichzeitig von mir selbst beobachtet zu werden.


Ich liege auf meiner rechten Seite, da ich so etwas mehr Luft bekomme und der Schleim etwas weniger im Weg ist. Als ich die Seite wechseln will, um zu langes einseitiges Liegen zu vermeiden, schränkt es die Atmung noch mehr ein und mein Vater muss mich gleich wieder zurückdrehen. So bleibt es in der Nacht bei minimalen Lageänderungen. Das sind dafür, besonders in den Morgenstunden, sehr viele, wegen meines unruhigen Schlafes.


Irgendwann ist im Zimmer ein Licht an. Ich habe keine Ahnung, wie spät es ist, draußen ist es vermutlich noch dunkel. Mein Vater hält mir die Maske vom Inhalationsgerät hin, denn er hofft, dass ich danach besser atmen und schlafen kann. Das ist nicht der Fall: Als es schon hell ist, möchte ich immer wieder, dass mein Vater mich etwas weniger seitlich dreht, nur um kurz danach zu merken, dass mein Oberkörper doch wieder weiter nach vorne muss.


Donnerstag, 31. Oktober 2019

Da ich sowieso nicht mehr weiterschlafen kann und im Liegen auch nicht viel mehr Luft bekomme als sitzend, verlasse ich das Bett und sitze danach kurz am Tisch vor dem Laptop. Dort erfahre ich das Ergebnis von Barcelonas „gestrigem" Spiel: 5:1. (Dass es eigentlich schon vorgestern war, habe ich nicht ganz auf dem Schirm.) Ich sehe mir kurz die Tore an und dann ein paar Videos auf YouTube. Neben den Atemproblemen habe ich auch noch ein sehr unangenehmes, saures Aufstoßen, das ähnlich wie die zitronigen Halstabletten schmeckt. Es fühlt sich irgendwie so an, als hätte sich eine Tablette zwar aufgelöst, doch einzelne Teile wären im Schleim „hängengeblieben“. Auch der Cough-Assist ändert an dem Gefühl nichts. Bald möchte ich mich wieder kurz ins Bett legen und wie ich dort ein paar Sekunden seitlich liege, bewegt sich mein Oberkörper langsam etwas nach vorne. Ich sage aber nicht, dass ich weniger seitlich liegen möchte, sondern nur: „Es dreht mich!“ Meine Mutter scheint dadurch sehr besorgt zu sein, da ich mich so ausdrücke, als wäre ich etwas orientierungslos. So entscheidet sie - wie schon vor zwei Tagen - dass mein Vater mit mir dringend ins Krankenhaus fahren soll.


Beim Hineinsetzen in meinen Rollstuhl hängt der obere Teil des Oberkörpers leicht nach hinten, sodass die Schultern nicht komplett über die zum besseren Halt vorgesehenen Seitenstützen kommen können, wodurch mein Kopf weiter von der Lehne entfernt ist und somit auch zurückhängt. Diese Position ist für die Atmung nicht besonders förderlich und ich fände es besser, wenn man mich an den Schultern anheben und mir so helfen würde, den Oberkörper vorzubeugen; dann könnte man den Gurt enger machen, damit ich nicht so leicht verrutsche. Allerdings bekomme ich während der Beugebewegung genauso wenig Luft, außerdem fühl ich mich irgendwie steif und schlapp zugleich, wodurch weder der Wechsel in eine neue Position noch das Halten selbiger so einfach möglich ist. So verharre ich auf dem Weg in die Tiefgarage zum Auto und während der kurzen Fahrt ins Krankenhaus in der unangenehmen Position mit etwas (nach hinten) hängendem Kopf. Meine eher ungünstige Sitzposition führt dazu, dass ich die kurze Fahrt besonders in den Kurven vergleichsweise wild und wackelig wahrnehme, außerdem sehe ich nicht so gut nach vorne.


Meine Erinnerungen an die Fahrt sind vor allem einzelne, jetzt nicht mehr komplett klare „Bilder“, die sich teilweise widersprechen, da es zwei verschiedene Wege zum Krankenhaus gibt, die beide vorkommen. Wahrscheinlich haben sich die Erinnerungen mit älteren vermischt.


Im Krankenhaus angekommen geht es zuerst wieder zu einem Lungenröntgen. Um nicht wieder so unbequem sitzen zu müssen, komme ich vom Röntgentisch liegend in eine fahrbare Trage, mit der man mich dann durch einen Gang schiebt, der auf einer Seite Fenster hat. Es ist, wie die letzten vielleicht vier Tage, bewölkt oder neblig, die Sonne habe in der Zeit gefühlt nie gesehen. In diesem Moment – eher hart und seltsam liegend mit starken Atembeschwerden – weiß ich nicht, was als nächstes passieren wird, doch ich denke jetzt nicht viel, sondern nur, dass ich es wohl einfach auf mich zukommen lassen muss, wie es eben kommt. Wir kommen im wahrscheinlich selben Untersuchungsraum an, in dem wir vorgestern waren, auch der Arzt ist der gleiche. Es kommt mir vor, als wären wir gerade erst gestern Abend dort gewesen, denn die beiden vergangenen Tage kann mein Kopf nicht mehr ordentlich auseinanderhalten. Meine Atmung fühlt sich jetzt noch etwas erschwerter an und auch eine innere Anspannung des Körpers ist stark spürbar, weshalb ich meinem Vater eher unruhig sage, er solle meinen Oberkörper weiter vorlehnen. In meiner Seitenlage ist mein Oberkörper bereits vorne, doch ich möchte ihn im Verhältnis zu meinem restlichen Körper weiter vor, was die Anwesenden meinen knappen Anweisungen nicht entnehmen können. Der Arzt stellt daher, um zu sehen, ob ich noch orientiert bin, die Frage, ob ich wisse, wo wir sind. Ich antworte: „In Bregenz im Krankenhaus.“ Kurz liege ich noch so da, dann nimmt die innere Anspannung stark ab, die Atemnot steigt etwas an und bevor ich „plötzlich einschlafe“ (=bewusstlos werde) merke ich noch, wie meine Hose leicht nass wird…


…Fortsetzung folgt am 31. Oktober…

1 Comment

Rated 0 out of 5 stars.
No ratings yet

Add a rating
Guest
Oct 30, 2023

Langsam aber sicher nimmt die Erzaehlung eine sehr dramatische Wendung...


Like
bottom of page