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Gewöhnliche Herbsttage (Oder etwa doch nicht?) - Teil 1

  • Autorenbild: Paul Wechselberger
    Paul Wechselberger
  • 19. Okt. 2023
  • 9 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 17. Jan. 2024

Wie letzte Woche angekündigt gibt es heute den ersten Teil der Reihe, in welcher ich vier Jahre in der Zeit zurückgehe. Aus meiner Perspektive beschreibe ich, was ich während dieser Zeit, die zwar harmlos beginnt, sich aber langsam als unerwartet schwierig herausstellt, mache, erlebe und wahrnehme. Zuerst müssen wir uns dafür aber geistig in diese Zeit zurückversetzen:


Die Welt sollte noch für einige Monate in ihrem „Normalzustand“ bleiben, bevor man kurz nach Neujahr von einem Virus hören würde, den es vermeintlich „eh nur vereinzelt in China“ gibt, wobei wir im März 2020 eines Besseren belehrt werden sollten.


Doch das soll uns hier nicht weiter kümmern, denn im Moment ist noch Herbst 2019: Der gerade zu Ende gegangene Sommer war ziemlich heiß und kam mir -wie auch die Ferien - dieses Jahr irgendwie besonders lange vor, da ich gefühlt sehr viel erlebt habe, obwohl wir gar nicht weggefahren sind. Doch wenn man in Bregenz am Bodensee wohnt, wo andere Urlaub machen, muss man auch nicht unbedingt wo anders hin. Ich fand es schon schön genug, dass wir oft in der Stadt in eines der vielen guten Restaurants gegangen sind. Auch die Zeit, die ich in der Wohnung verbracht habe, war alles andere als langweilig. Neben YouTube-Videos und manchen Fußballspielen, die ich anschaute, war ich aber vor allem mit einem sehr beschäftigt: Fifa 15, das 2019 wohl sonst niemanden mehr interessiert, doch für mich war es in diesem Sommer das Größte. (Ich hatte es erst seit Juni 2019 und spiele es 2023 immer noch.)


Wie der Sommer, ist auch dieser erste Herbstmonat zu einem beachtlichen Teil von strahlendem Sonnenschein geprägt gewesen. Vor kurzem hat mein vorletztes Jahr im Gymnasium begonnen und ich habe für mich endlich ein Thema gefunden, zu dem ich meine „Vorwissenschaftliche Arbeit“ schreiben werde. Gleichzeitig startet gerade die (monatelange) Phase der Anpassung eines neuen Elektrorollstuhls für mich. Noch bin ich in meinem normalen, älteren Rollstuhl, doch er kann meinen Bedürfnissen nicht mehr ganz ideal gerecht werden. Daher wurde im Sommer bei der letzten ärztlichen Kontrolle gemeinsam entschieden, dass ich eben einen Elektrorollstuhl mit einer an meine Körperform angepassten Sitzschale bekommen soll. Besonders wichtig ist auch, dass sowohl Rückenlehne als auch die gesamte Sitzfläche nach hinten geneigt werden können, damit ich den Rücken immer wieder entlasten kann. Bald soll ein Abdruck von meinem Rücken gemacht werden, sodass die Sitzschale dann die passende Form haben wird...


Gehen wir nun also zu dem Tag, der mir in den Sinn kommt, wenn ich ganz an den Anfang dieser einschneidenden drei, vier Wochen denke. Heute ist dieser Tag genau vier Jahre her:


Samstag, 19. Oktober 2019

Ich mache meine Hausaufgabe, bei der man fünf mit Informationen vollgepackte Seiten aus dem Lehrbuch in Stichworten zusammenfassen muss. Im Anschluss sehe ich das Auswärtsspiel des FC Barcelona gegen Eibar an. Es ist eines der ersten Spiele der Saison, in dem jeder der drei Stürmer Messi, Suarez und Griezmann richtig gut spielt und jeweils einmal trifft, wodurch am Ende ein 3:0 steht. Besonders das zweite und das dritte Tor rufen Erinnerungen an MSN (Messi, Suarez, Neymar) wach und meine Hoffnung entsteht, dass es jetzt ein neues, ähnlich erfolgreiches Traumtrio geben wird. Am Abend genieße ich noch Real Madrids Niederlage gegen den Aufsteiger Mallorca.


(Ich hatte keine Ahnung, dass ein Jahr später Suarez, in zwei Jahren dann auch Messi und Griezmann den Club verlassen haben werden und es noch dreieinhalb Jahre dauern sollte, bis Barcelona den nächsten Ligatitel holt.)


Sonntag, 20. Oktober 2019

Mein Vater hat morgen Vormittag eine Darmspiegelung, weshalb er nichts essen darf. Während er am Abend ein Abführmittel trinkt, liegt er zwischen den Toilettengängen am Sofa und fühlt sich krank, was er hauptsächlich auf den „Nahrungsentzug“ zurückführt.


Montag, 21. Oktober 2019

Nachdem ich aus der Schule gekommen bin, gehen wir am Nachmittag zu viert essen. Wir sitzen draußen unter dem Dach - nahe am Eingang - und es ist nicht besonders warm. Mein Vater hustet immer wieder und klingt etwas heiser, meint aber, das liege daran, dass er während der Darmspiegelung etwas von seinem Speichel aspiriert habe. Nach dem Essen geht er mit mir noch kurz in die Stadt, um Nachtisch (Kuchen) zu kaufen, wobei er noch schnell in ein anderes Geschäft muss, dessen Eingang Stufen hat, weshalb ich kurz im Freien warte. Dann geht es nach Hause, wo ich erstmal eine Runde Fifa 15 spiele.


Dienstag, 22. Oktober 2019

In der Schule fühle ich mich den ganzen Tag über müde und erschöpft. Am Morgen gibt es eine kleine schriftliche Überprüfung von Vokabeln, die zur in zwei Tagen stattfindenden Lateinschularbeit kommen können. Da dieser Vokabeltest wie gewöhnlich nur ein paar Minuten dauert, nutzt der Lehrer den Rest der Stunde zum Korrigieren und nennt am Ende die Ergebnisse. Da ich noch nicht so viel gelernt habe für die Schularbeit, ist meines deutlich schlechter als sonst, was den Lehrer zu wundern scheint, wenn man nach seiner Frage urteilt, die in etwa nach „was war los?“ klingt. Auch ein anderer Schüler findet meine Note sehr interessant, hat aber nicht genau zugehört, weshalb er sicherheitshalber noch seinen Sitznachbarn fragt. Die Tatsache, dass die Leute zu dieser einen unwichtigen, schlechten Note gefühlt mehr kommentieren als bei all meinen Einsern zusammen und mehr darüber nachdenken als ich selbst, stört mich momentanen etwas, da ich ohnehin schon müde bin. Leicht genervt denke ich mir: Warum kann man mich nicht einfach in Ruhe lassen? Es ist doch eigentlich meine eigene Sache!


Die meiste Zeit fühlt sich meine Unterhose heute schief und verdreht an, was zu einem leichten Druck- oder Quetschschmerz führt. Fast neun Stunden nach dem Verlassen der Wohnung komme ich endlich wieder nach Hause. Um 9 Uhr am Abend sehe ich mir Champions League-Spiele an, muss etwa gegen Halbzeit unterbrechen, aufgrund eines „großen“ Toilettengangs, und ziemlich genau mit dem Zeitpunkt, an dem ich fertig bin, beginne ich, leichte Halsschmerzen - begleitet von starker Trockenheit - zu spüren. Ich versuche, das unangenehme Gefühl mit irgendwelchem Zeug aus dem Süßigkeitenkorb und durch das Trinken von Wasser zu lindern. Da sich nichts verändert, erzählte ich meinen Eltern von den Halsschmerzen und nehme eine Tablette dagegen, welche ich in solchen Situationen immer nehme, die man im Mund behält, bis sie sich komplett aufgelöst hat.


Während ich später mit wieder so einer Tablette im Mund im Bett liege, kommt mir ein seltsamer, hypothetischer Gedanke, der wahrscheinlich damit zusammenhängt, dass ich knapp zwei Jahre zuvor einmal verkühlt war mit sehr starker Schleimbildung, die mir das Atmen mehrmals kurzzeitig erschwerte. Mit dem zusätzlichen Wissen, dass diese Verkühlung auch abends mit ähnlichen Halsschmerzen begonnen hat und meine Lungen in diesen zwei Jahren wohl schwächer geworden sind, denke ich folgendes: Wenn ich gegen die Halsschmerzen und die wohl folgenden Krankheitssymptome gar nichts machen, also sie komplett ignorieren würde, hätte ich etwa in einer Woche vielleicht ziemliche Atemprobleme. (Ich bin nicht mehr ganz sicher, ob der Gedanke auch noch weiterführte zu Begriffen wie „Krankenhaus“ und/oder „(lebens)-gefährdend“.)


Ich bin jedoch keinesfalls besorgt, dass sich dieses Szenario bewahrheiten könnte, da meine Verkühlungen bisher meist harmlos gewesen sind, es Dinge wie Halstabletten, warmen Tee, warme Decken sowie Zuhause-bleiben und sich schonen gibt und, falls ich trotzdem noch sehr verschleimt sein sollte, ich den „Cough-Assist“ (Maschine zum Husten und Schleimlockern) benutzen kann. Theoretisch haben wir ja auch ein Inhalationsgerät…


Mittwoch, 23. Oktober 2019

Da meine Halsschmerzen nach dem Aufstehen wie erwartet noch da sind, entscheide ich, zu Hause zu bleiben. Dass ich das erst jetzt meiner Mutter mitteile, obwohl ich es mir gestern Abend schon hätte denken können, ärgert sie zurecht, da der Mann, der mich in die Schule fährt, möglicherweise umsonst früh aufgestanden ist und sie ihn schnell anrufen muss, damit er sich wenigstens nicht umsonst auf den Weg zu uns macht. Beim Mittagessen fällt mir auf, wie sich mein Hals-Rachen-Bereich etwas geschwollen und leicht gefühlsarm anfühlt. Der salzig-saure Geschmack der Salatsoße ist daher besonders angenehm, da er dieses Gefühl für einen kurzen Moment überdeckt.


Um 9 Uhr spielt Barcelona auswärts in der Champions League gegen Slavia Prag. Gegen die gleiche Zeit läuft nebenher im Fernsehen eine Sendung, in der Kinder und Jugendliche wegen verschiedenen Operationen, darunter auch komplizierten, im Krankenhaus sind, manche nicht zum ersten Mal. Das Gezeigte kommt mir so weit weg vor, da ich selbst noch keine derartigen Erfahrungen gemacht habe. Ich bin vor allem froh, dass ich bisher fast nie wegen ernster Probleme ins Krankenhaus musste und besonders, dass ich jetzt gerade zu Hause sein kann.


Was das Spiel betrifft, das ich auf dem Laptop ansehe, erwarte ich nach dem sehr früheren Führungstor durch Messi einen entspannten Abend. Weit gefehlt: Danach bringt Barcelona kaum mehr erfolgreiche Angriffe zustande, während Prag, unter Mithilfe der gegnerischen Verteidigung, eine Reihe an Torchancen hat. Dass der Ausgleich erst in der zweiten Halbzeit fällt, liegt eigentlich nur am Torwart ter Stegen und auch die wenig später erzielte erneute Führung ändert nicht viel am Spiel. Die letzte halbe Stunde ist eine Zitterpartie und die wenigen Situationen, die Barcelona hat, sind hauptsächlich miserabel ausgespielte Konterchancen. Zum Glück endet auch Prags letzter Ausgleichsversuch in ter Stegens Armen. Während des Abends trinke ich viel Tee und Wasser, weshalb sich mein Bauch kurzzeitig richtig voll und prall anfühlt. Gut, dass es schnell wieder vorbei ist.


Donnerstag, 24. Oktober 2019

Heute wäre die Lateinschularbeit und mein Vater ist der Meinung, wenn man ehrlich sei, könne ich heute oder morgen eigentlich wieder in die Schule. Das hat aber nichts mit meinem genauen Zustand zu tun, denn sowas sagt er immer, wenn ich zu Hause bleibe. Das liegt auch daran, dass er selbst scheinbar nur dann nicht zur Arbeit kommt, wenn er mindestens so krank ist wie seine Patienten.


Ich sehe mir nochmal die letzten zehn Minuten des gestrigen Spiels an, um mich selbst davon zu überzeugen, dass sie doch nicht ganz so „schlimm“ waren.


Freitag, 25. Oktober 2019

Am Vormittag fährt meine Mutter für ein paar Tage weg. Am Montagabend, also in drei Tagen, wird sie zurückkommen. Währenddessen wird unser Vater, der dieses Jahr die ganzen Herbstferien frei hat, mit uns zu Hause bleiben. Vorher möchte sie noch etwas in einen kleinen Koffer einpacken, den mein Vater vor kurzem „gewonnen“ hat, doch es gibt ein Problem: Um den Reisverschluss öffnen zu können, muss man im Zahlenschloss einen Code eingeben, den er nicht mehr weiß.


Samstag, 26. Oktober 2019

Unser Vater kocht am Nachmittag Kartoffelgulasch, welches aufgrund seiner Ähnlichkeit zu heißer Suppe sehr angenehm für meinen Hals ist. Am frühen Abend kommt noch Gerhard vorbei, der mich bis vor kurzem immer in die Schule und wieder nach Hause gefahren hat. Dann hat er eine neue Arbeitsstelle gekriegt und mich noch bis zu den Herbstferien donnerstags von der Schule abgeholt. Er bringt nicht nur die Abrechnung, sondern hat vor seinem Abschied noch ein Geschenk für mich: Aufgrund meiner guten Schulnoten ist er nämlich der Meinung, ich würde ganz viel lesen. Außerdem ist er sehr stark religiös und hat mich mit seinen religiösen - und auch sonstigen - Geschichten und Ansichten immer wieder gerne zwangsbeglückt. Daher schenkt er mir zwei religiöse Bücher.


Sonntag, 27. Oktober 2019

Auch mein Bruder hat heute etwas Husten und Schleim, es sind nun also alle drei von uns etwas krank. Weil mein Zustand gefühlt unverändert ist, habe ich wegen mir weniger Sorgen als wegen ihm. Er verwendet den Cough-Assist und weil dieser gerade schon am Tisch steht, fragt mich mein Vater, ob ich ihn auch benutzten möchte. Ich stimme zwar zuerst zu, doch da mein Vater aus Versehen auf den Knopf drückt, bevor ich das Zeichen gebe, entscheide ich mich wieder um. Im Moment ist in meinem Hals sowieso nur wenig Schleim und besonders zäh ist er auch nicht.


Die letzte dreiviertel Stunde vor dem Schlafengehen wechsle ich meine Sitzposition vom Tisch, auf dem ich meine Hände habe und an den somit auch mein Oberkörper leicht angelehnt ist, zum Teppich vor dem Fernseher. Dort kann ich mich nicht nach vorne anlehnen, sondern ich habe in meinem Rollstuhl nur die Seitenstützen unter den Armen sowie den Gurt vorne um den Bauch herum. Deshalb ist das Sitzen anstrengender und ich fühle mich mit der Zeit noch müder.


Montag, 28. Oktober 2019

Als ich nach dem Aufwachen noch im Bett bin, fühle ich im Hals etwas mehr Schleim als die letzten Tage, doch im Liegen stört er die Atemwege nicht bedeutend und durch etwas Husten lockert sich gleich ein bisschen. Mit dem Zeitpunkt, ab dem ich aus dem Bett draußen bin und sitze, ist der Schleim in einer anderen „Lage“. Das Gefühl ist etwa so, als wäre die Luftröhre circa an ihrem Beginn mit einer dünnen Schicht bedeckt, die zwar Luft durchlässt, aber eher wenig und mit mehr Widerstand als normal, was sehr bedrückend ist. Wenn so etwas am Morgen nach einem Positionswechsel vorkommt, löst sich die „Blockade“ normalerweise nach kurzem Husten oder festem Ein- und Ausatmen wieder, doch jetzt hilft das alles nichts, denn der dichte Schleim bewegt sich kein Stück. Auch meine zusätzlichen Bewegungen, um dem Brustkorb stärker zusammenzudrücken und stärker husten zu können, bringen kaum was. Somit bleibt das Gefühl während dem Frühstück bestehen und auch beim Schlucken ist der Schleim etwas im Weg.


Danach entscheide ich mich dazu, es jetzt doch mit dem Cough-Assist zu probieren, um wieder besser Luft zu bekommen. Das stellt sich aber als schwieriger heraus als gedacht: In den wenigen Sekunden, in denen ich die Maske über Mund und Nase habe, das Programm selbst aber noch nicht an ist, da ich das Zeichen noch geben muss, atmet man mit einem - wenn auch nur sehr geringen - Widerstand. In meinem jetzigen Zustand reicht das aber schon aus, dass ich gefühlt keine Luft bekomme und bevor ich ausatmen und anschließend das Zeichen geben kann, den Kopf von der Maske wegdrehe. Selbst nach mehreren Versuchen kann ich mich nicht überwinden…


…Fortsetzung folgt am 28. Oktober…


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