Endlich vorbei: Bereit für zu Hause? - Teil 8
- Paul Wechselberger
- 11. Nov. 2023
- 9 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 17. Jan. 2024
Montag, 11. November 2019
Zum Frühstück - und auch danach noch einige Zeit - sitze ich in meinem Rollstuhl, der jetzt mit weniger Kissen gepolstert ist, da ich mich einer normalen Sitzposition annähern möchte und jetzt auch mehr Kraft dazu habe. Nur kleine Kissen und einzelne Tüchlein sind noch an manchen Stellen. Zwischendurch werde im für ein paar Minuten nach hinten geneigt, um mich etwas ausruhen zu können. Gerade wieder zurück im Bett, wird mir das T-Shirt gewechselt, wofür ich die Sauerstoffbrille kurz weggeben muss. Da ich kaum einen Unterschied merke, setze ich sie danach nicht wieder auf. Mein normales Atemvermögen ist also wieder so gut wie hergestellt und selbst mehrere Stunden später werde ich vom komplett selbstständigen Atmen ohne Hilfsmittel nicht müde. Psychologisch habe ich noch immer eine kleine Unterstützung oder zumindest Orientierungshilfe: Die Geräusche der Beatmung des Zimmernachbarn, denen man klar die einzelnen Atemzüge entnehmen kann, geben auch mir einen guten Rhythmus vor, dem ich meine Atemfrequenz mühelos anpassen kann.
Sobald das freie Zimmer auf der Normalstation gereinigt und vorbereitet worden sein wird, kann ich dorthin verlegt werden. Dieser Zeitpunkt zieht sich bis zum früheren Abend. Kurz bevor ich tatsächlich „umziehen“ kann, wird mir bewusst, dass ich die letzten etwa 270 Stunden durchgehend in diesem Zimmer verbracht habe, und zwar in einem Umkreis von zwei Metern: Hauptsächlich im Bett, sonst noch direkt daneben im Rollstuhl. Für den Stationswechsel muss ich gar nicht wie von mir vermutet aus dem Bett, sondern ich werde einfach in selbigem durch die Krankenhausgänge geschoben. Da ich es gar nicht mehr gewohnt bin, mich auf irgendeine Art fortzubewegen (bzw. bewegt oder gefahren zu werden), bin ich währenddessen fast ein wenig aufgeregt und hoffe, dass auch außerhalb dieses Intensivzimmers eine angenehme Luft herrscht, bei der ich gut atmen kann. Ich habe Glück, denn die Luftqualität ist überall gleich. Erstaunlich, an welch selbstverständlichen Dingen man zweifeln kann, wenn man zwei Wochen hinter sich hat, in denen man etwas absolut Lebensnotwendiges nicht ausreichend aus eigener Kraft ausführen konnte!
Die normale Kinderstation befindet sich direkt gegenüber der Intensivstation, wir müssen nur durch ein paar Türen. Im neuen Zimmer fallen mir mehrere Dinge gleich auf: Es ist viel ruhiger als auf der Intensivstation, denn dort hörte man ständig Geräusche und auch immer wieder Alarme von verschiedenen Geräten. Außerdem standen die Türen oft offen und es ging permanent Personal ein und aus. Auch optisch ist der jetzige Raum deutlich angenehmer, da die Wand eine warme Farbe hat und die Sinne nicht durch komische Gegenstände an jeder Ecke überreizt werden. Während des Abendessens hören meine Mutter und ich die Geräusche der Matratze lauter als bisher. Wir glauben zunächst, es sei einfach eine kurze Phase, in der die Luftkammern besonders „fest“ arbeiten, doch da es kontinuierlich zu hören bleibt, wird uns klar, dass die Matratze immer so laut ist. Auf der Intensivstation ist es uns durch die ganzen Nebengeräusche nur nicht so stark aufgefallen.
Über Nacht wird wieder mein Vater hier sein, der heute im selben Zimmer in einem Klappbett schlafen kann. Jetzt fühle ich mich doch etwas müde, aber nicht vom eigenständig Atmen, sondern generell aufgrund der beiden nervenaufreibenden vergangenen Wochen. Dafür geht es mir mental ziemlich gut, da ich einfach merke, wie schnell es plötzlich bergaufgeht!
Dienstag, 12. November 2019
Ich wache in der Nacht auf und spüre kräftige Atemzüge, die meine Lungen mit einer befriedigenden Menge an Luft füllen. Da sich mein Nasenrücken durch die noch nicht verheilte Druckstelle leicht schmerzhaft und das Naseninnere etwas trocken anfühlt, kommt mir vor, ich hätte gerade einen dünnen Schlauch in der Nase, der mich beim Atmen unterstützt. Eingeschlafen bin ich jedoch ganz ohne irgendeine Atemhilfe, also wenn man mir in meinem Schlaf keine aufgesetzt hat, ist es tatsächlich meine eigene Atmung, die jetzt wieder so gut funktioniert! Mein Vater, den ich extra frage, bestätigt mir das auch. Vereinzelt fällt die Sauerstoffsättigung während des Schlafes kurzzeitig auf etwa 90 %, sodass mich ein leichtes Klingeln vom Überwachungsmonitor aufweckt, aber nach ein paar tiefen Atemzügen ist alles stets wieder zurück im Sollbereich.
Beim Frühstück sitze ich mit meinem Vater am Tisch und blicke zum ersten Mal seit Langem direkt in die Richtig von Fenstern, durch die ich gut nach draußen sehen kann. Im Hintergrund entdecke ich sogar Berge. Auch die Wolken können die Schönheit dieses Augenblicks in keiner Weise trüben. Im Laufe des Vormittags erfahre ich etwas, womit ich noch nicht gerechnet hätte: Bereits heute ist meine Entlassung geplant! Nach zwischenzeitlichem Liegen bin ich erneut in meinem Rollstuhl, als ein letztes Mal der CO2-Wert im Blut gemessen wird. Auch im Sitzen ist dieser Wert jetzt offensichtlich im grünen Bereich, sodass meiner Heimfahrt eigentlich nichts mehr im Wege steht! Ich habe jedoch noch leise Zweifel, ob mein Körper schon bereit dafür ist und die Autofahrt reibungslos überstehen wird. Das Argument des Arztes, dass ich nicht unnötig lange stationär bleiben sollte, damit ich nicht noch einen Krankenhauskeim aufschnappe, leuchtet mir allerdings auch ein.
Nach dem Mittagessen werden wir uns langsam auf den Weg machen, aber zuerst ruhe ich mich nochmal etwas im Bett aus, da ich nicht unnötig lange am Stück sitzen möchte, denn während der Fahrt kann ich mich logischerweise nicht hinlegen. Auch die Wunde auf meinem Nasenrücken wird ein letztes Mal gereinigt.
Nun verlasse ich das Krankenhausbett endgültig und komme in meinen Rollstuhl, in dem ich jetzt bis auf ein kleines Tuch hinter dem Rücken und ein Kissen auf der Schulterstütze alles wieder so haben kann, wie vor meinem Krankenhausaufenthalt. Für die Heimfahrt muss ich die Füße auf die Fußstütze legen, damit sie nicht auf dem Boden schleifen, während ich durch das Gebäude bis zum Auto geschoben werden. In den letzten Tagen, aber auch zu Hause generell, benutze ich die Fußablage nicht, sondern lasse die Füße über dem Boden baumeln, da das für meine Fußgelenke angenehmer ist. Mit Fußstütze sitze ich dafür etwas stabiler im Rollstuhl, da mein Körper eher hinten bleibt. Außerdem spüre ich jetzt unerwarteterweise den positiven Nebeneffekt, dass sich meine gerade eben kurzzeitig erhöhte Herzfrequenz wieder einpendelt, direkt nachdem man mir das Fußbrett ausgeklappt hat.
Durch die Matratze, die sich ständig in leichter Bewertung befand, finde ich das Fahren (=geschoben werden) im Rollstuhl nun sehr ungewohnt, da man komplett ruhig über den glatten Boden gleitet. Es fühlt sich fast ein wenig unheimlich an, als würde ich leicht schweben. Als Erstes schauen mein Vater und ich noch ganz kurz bei der Intensivstation vorbei, um uns zu verabschieden und dafür zu bedanken, wie gut sich die Leute dort um mich gekümmert haben. Jetzt geht es aber wirklich nach Hause! Wir kommen bei der Eingangshalle vorbei, die ich vor drei, vier Jahren mehrere Male durchquert habe. Diesmal aber verlasse ich das Gebäude, ohne mich zu erinnern, wie ich hier hergekommen bin, da ich mich zu jenem Zeitpunkt eben in einem bewusstlosen oder schlafenden Zustand befand.
Die gesamte Autofahrt überstehe ich ohne Probleme, denn sie dauert glücklicherweise auch nicht besonders lange. Als wir bei uns zu Hause in die Tiefgarage einfahren, läuft im Radio gerade ein Lied, das von der Stimmung her genau zu den positiven Gefühlen passt, die man eben hat, wenn man eine schwere Zeit überwunden hat und endlich heimkehrt. Beim Verlassen des Autos über den Einstiegslift wird meine freudige Stimmung für einige Sekunden dadurch getrübt, dass mein Vater mich etwas unvorsichtig schiebt, wodurch ich mir an irgendeinem Gegenstand den Zeh anschlage. Auf dem Weg zum Aufzug unseres Wohnblocks macht mein Vater wieder mal einen seiner „lustigen“ Witze und meint, ich könne doch in zwei bis drei Tagen sicher wieder in die Schule gehen. Im Spiegel des Liftes sehe ich die Narbe auf meinem Nasenrücken zum ersten Mal mit eigenen Augen und bin leicht geschockt darüber, wie verletzt die Stelle jetzt immer noch aussieht.
Nun komme ich also nach fast zweiwöchiger Abwesenheit erstmals zurück in unsere Wohnung, die mich - wie so oft - mit ihrer Helligkeit begrüßt, die von unseren großen Fenstern hineingelassen wird, wann immer draußen die Sonne scheint. Lange nicht mehr habe ich so viel natürliches Licht abbekommen, wie jetzt, also wird mir wieder einmal mehr bewusst, wie schön wir eigentlich wohnen. Selbstverständlich freue ich mich auch, meinen Bruder wieder zu sehen, von dem ich 12 Tage am Stück komplett getrennt war: So lang, wie bisher wohl noch nie! Da von den verschiedenen Leuten, die in letzter Zeit Essen gekocht oder gebracht haben, noch einiges übrig ist, esse ich erstmal eine Kleinigkeit. Anschließend muss ich mich aber wirklich wieder etwas ausruhen, weshalb ich mich für ein paar Stunden hinlege.
Gerade erst heute ist mein neues Bett zu Hause angekommen: Ein höhenverstellbares, bei dem auch Teile der Liegefläche verstellt werden können, ähnlich wie bei einem Krankenhausbett. Mein Bruder hat das gleiche bereits seit 2017 und während meines Krankenhausaufenthalts haben wir entschieden, dass jetzt auch für mich ein guter Zeitpunkt ist, denn gerade in den nächsten Tagen und womöglich Wochen werde ich vielleicht noch nicht so lange am Stück sitzen können. Da kann ich die Funktionen des Bettes sicher schon mal gut gebrauchen! Da das neue Bett gerade noch aufgebaut wird, stellt mein Bruder mir für diesen Nachmittag seines zur Verfügung.
Nach neun Uhr am Abend möchte ich nochmal kurz aus dem Bett raus, damit die ganze Familie bei einem kurzen, späten Abendessen am Esstisch zusammenkommen kann, wie es zuletzt vor zwei Wochen der Fall war. Da ich in letzter Zeit immer nur kurz gesessen bin, und das am helllichten Tag, ist es jetzt - wo ich von den heutigen Ereignissen schon ziemlich erschöpft bin - nicht gerade das bequemste Unterfangen. Nach dem mehrstündigen Liegen ist mir, als mich mein Vater in den Rollstuhl setzt, für einige Sekunden leicht schwindlig. Bedingt durch die bereits deutlich spürbare Müdigkeit habe ich auch ein wenig kalt. Außerdem habe ich vorher im Bett kaum etwas getrunken, da ich nicht daran gedacht habe, weshalb sich mein Hals jetzt recht trocken anfühlt. Natürlich liegt es ausschließlich am nicht genug Trinken und hat sonst keinerlei negative Bedeutung, was mir unter normalen Umständen absolut klar wäre. Aber nach den drei unschönen Wochen, die gerade hinter mir liegen, ist es naheliegend, dass jegliche Abnormalität, die ich jetzt im Hals spüre, mein Gehirn gleich wieder zum Rattern bringt: Mein verhängnisvoller Infekt hat ebenfalls ganz harmlos begonnen, unter anderem mit einem trockenen Hals. Vor drei Wochen habe ich mir dabei keine Sorgen gemacht, und wir wissen alle, wie es mir eine Woche später ging!
Schmerzen habe ich im Hals jedenfalls keine und nachdem ich der Familie meine Sorge mitgeteilt habe, stellt sich bei mir zum Glück schnell wieder die Zuversicht ein, dass sich keine Halsschmerzen anbahnen werden. Da ich nun noch müder bin, gehe ich nach dem Essen sofort ins Bett, selbst das Zähneputzen findet erst dort statt. Zum ersten Mal bin ich jetzt im neuen Bett in meinem Zimmer, endlich wieder auf einer Matratze, die sich nicht bewegt und nicht stark nachgibt. Die Luft im Zimmer ist etwas kalt, da meine Heizung momentan nicht einwandfrei funktioniert, aber immerhin haben wir einen kleinen „Luftwärmer“, den wir kurz laufen lassen. Durch die wärmere Luft fühlt sich der Hals gleich weniger trocken an und vor dem Schlafen benutze ich noch einmal sowohl Inhalationsgerät als auch Cough-Assist.
Mittwoch, 13. November 2019
Am Frühstückstisch kommt mir vor, dass meine periphere Sicht immer noch etwas eingeschränkt ist. Das liegt wohl einfach daran, dass ich die Wunde auf der Nase noch spüre und zuletzt immer irgendetwas in meinem Gesichtsfeld hing. Auch mit meinen trockenen Augen hat es zu tun, die vielleicht von der Atemmaske kommen, die direkt unter den Augen gesessen ist.
Gegen Nachmittag muss ich zum ersten Mal, seit ich wieder zu Hause bin, mein großes Geschäft verrichten. Das Sitzen auf der Toilette ist für mich besonders im bisherigen Verlauf des Jahres immer schwieriger und problematischer geworden. Jetzt bin ich dieses halbwegs „freie“ Sitzen gar nicht mehr gewohnt und dazu auch noch etwas schwächer geworden, sodass stark bezweifelt werden muss, ob es mir überhaupt noch möglich wäre. Das eingegipste Bein macht die Sache nicht einfacher. Aber es gibt eine vielversprechende Lösung: Seit mehreren Jahren benutzt mein Bruder den Patientenlift, in den ein Hebegurt eingehängt wird, der um den Oberkörper geht. Dadurch kann er auf der Toilette sitzen, ohne den Rücken aus eigener Kraft halten zu müssen, da dieser einfach in der Luft gehalten wird. Ich selbst habe den Lift eigentlich noch nie verwendet, aber es gibt immer ein erstes Mal!
Mein Vater probiert ihn mit mir aus, wobei ich etwas skeptisch bin, ob man in diesem Gurt, der unter den Schultern liegt und recht enganliegend rund um den Brustkorb verläuft, überhaupt gut genug atmen kann. Zwar stellt sich diese Sorge eher als falsch heraus und ich kann „erfolgreich“ mein Geschäft verrichten, aber besonders angenehm finde ich es noch nicht, da zum Beispiel die Arme etwas eingeschnürt werden. Wir haben aber noch einen anderen Gurt für den Lift. Vielleicht werde ich es morgen mit diesem probieren.
Heute hole ich das nach, was ich zum Thema Fußball und bei YouTube verpasst habe, indem ich einige neuerschiene Videos und auch Fußballhighlights anschaue. Im Krankenhaus habe ich zwar manches über ein paar Fußballspiele erfahren, aber so ein Kenner wie ich muss sich natürlich genauer informieren. Den ganzen Tag überstehe ich, ohne mich zwischendurch hinzulegen! Immerhin habe ich am Morgen erst spät das Bett verlassen und gehe auch um einiges früher schlafen als normal.
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