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Freundlich, offen, immer hilfsbereit: So war die Mehrerau für mich

  • Autorenbild: Paul Wechselberger
    Paul Wechselberger
  • 15. Sept.
  • 14 Min. Lesezeit

Meine gesamte achtjährige Gymnasialzeit, von 2013 bis 2021, habe ich im Privatgymnasium Mehrerau in Bregenz verbracht. Man nennt es auch das Collegium Bernardi. Ich möchte diesen Text gerne dazu nutzen, um den Verlauf dieser Jahre für euch darzustellen und auf Momente zurückzublicken, die mir in Erinnerung geblieben sind. Außerdem möchte ich zeigen, wie gut stets mit mir umgegangen und auf meine individuelle Situation eingegangen wurde. 

 

In den ersten drei Jahren, die ich dort verbracht habe, war die Mehrerau noch ein reines Bubengymnasium, doch ab dem Schuljahr 2016/17 steht auch Mädchen die Möglichkeit offen, dort zur Schule zu gehen. (In unserer Klasse hatten wir aber nie ein Mädchen.) Ein Jahr später startete auch die neue Volksschule.

 

Auch wenn die Mehrerau ein katholisches Privatgymnasium ist, sind Schüler anderer Glaubensrichtungen hier ebenfalls willkommen. Auch jene ohne Religionsbekenntnis, oder welche, die sich – wie ich – eher als atheistisch sehen, werden mit offenen Armen empfangen. Es geht vor allem um ein respektvolles Miteinander und darum, die Menschen dafür zu akzeptieren, wer sie sind. Es sind Werte der Menschlichkeit, die unabhängig von der Religion unverzichtbar sind.

 

Einmal im Monat fand für alle Schüler ein Gottesdienst in der schönen, großen Kirche des Mehrerauer Klosters statt. Ich bin, wie gerade erwähnt, selbst nicht gläubig, aber eine Kirche ist ein guter Ort, um Inne zu halten und zur Ruhe zu kommen. Wenn dafür eine Unterrichtsstunde ausfällt, geht man sowieso sehr gerne in die Kirche. Einziger Haken: Im Winter war mir dort häufig etwas kalt – ein Nebeneffekt davon, wenn man sich nicht bewegt und sehr dünn ist. Ich kann mich an mindestens einmal erinnern, als ich aus diesem Grund allein in der Klasse zurückblieb und somit die Kirche „schwänzte“.

 

Ähnlich wie mit dem Glauben verhielt es sich auch mit dem Sport. Dieser ist ein wichtiger Teil der Identität der Schule. Es gibt eine Fußball-, eine Handball- und eine Segelakademie. In der Unterstufe war stets mehr als die Hälfte meiner Klasse in einem dieser Sportzweige, in der Oberstufe war es sogar die ganze Klasse! Außer mir natürlich. Trotzdem fühlte ich mich immer wohl in der Klasse. Ich kam mir in der Schule genauso willkommen vor und wurde stets gut behandelt. Wenn ein Atheist, der mit einer starken körperlichen Einschränkung lebt und somit auch nicht viel mit Sport am Hut hat, sich in einer katholischen Privatschule mit Sportzweig wohl und willkommen fühlt, sagt das schon einiges Positives über diese Schule aus!

 

Aber wie Schüler oft so sind, finden sie immer irgendetwas Negatives. Auch meine Mitschüler waren besonders gut darin, Dinge zu bemängeln. „Mehrerauer Qualität…“, schmähten sie, wann immer eine Kleinigkeit nicht dem Standard entsprach, den sie vielleicht von zu Hause gewohnt waren. Ein weiterer Running Gag unter den Schülern war die berüchtigte „Hausrechnung“. Wenn ein Schüler zum Beispiel etwas beschädigte, konnte es vorkommen, dass der entstandene finanzielle Schaden gemeinsam mit den normalen Schulgebühren auf die Hausrechnung kam. Kaum zu fassen, dass man für Dinge, die man kaputt gemacht hat, bezahlen muss! Wahrscheinlich bezahlten den Schaden sowieso die Eltern und nicht die Schüler selbst.

 

Auch schien es unter den Schülern ein ungeschriebenes Gesetz zu geben: „Du sollst dich über das Schulessen aufregen!“ Auch wenn viele Schüler so dachten, kann ich von meiner Seite sagen, dass das Essen nicht nur in Ordnung war, sondern auch häufig Sachen dabei waren, die wirklich gut geschmeckt haben. Wenn man in meiner Klasse nicht uncool sein oder sich unbeliebt machen wollte, durfte man positive Urteile über das Essen auf keinen Fall laut sagen. Als es einmal jemand wagte, seinen Mitschülern seine eigene Meinung mitzuteilen, dass das Essen ja manchmal doch nicht ganz so schlecht sei, erntete er vor allem Empörung: „Was?! Kumm, gang di vagraba!“ (= "Geh dich vergraben!")

 

Wenn einem eine Sache überhaupt nicht schmeckte, musste das nicht unbedingt zum Problem werden, denn meist gab es zwei, drei verschiedene Gerichte und auch noch Suppe und Salat. All das konnten die Schüler vom Buffet holen und damit selbst bestimmen, wovon sie wie viel essen wollten. Normalerweise gab es von Montag bis Donnerstag immer Mittagessen für alle Schüler, egal, ob sie Intern, halbintern oder mittagsbetreut waren. (Dies sind die Betreuungsmodelle, welche zur Auswahl stehen.) Die Mittagsbetreuten, zu denen auch ich gehörte, durften nach Hause, sobald die letzte Unterrichtsstunde endete. Halbintern bedeutet, dass die Schüler unabhängig von ihrem Stundenplan bis 17:45 in der Schule bleiben. Interne Schüler wohnen unter der Woche auf dem Schulgelände, Sie schlafen also auch dort. Besonders in der Unterstufe gab es an manchen Wochentagen große, im Stundenplan festgelegte Lücken, die für Hausaufgaben und Lernen, teilweise aber auch als Freizeit vorgesehen waren. Somit verbrachten auch die Mittagsbetreuten außerhalb des Unterrichts viele Stunden in der Schule. Mit jedem Übergang in die nächste Schulstufe wurden diese Lücken etwas weniger. In den Oberstufenklassen handelte es sich dabei eher nur noch um einzelne Stunden.

 

Jede Klasse hatte eine/n eigene/n sogenannte/n Erzieher/in, also eine Aufsichts-/Ansprechperson für die unterrichtsfreie Zeit, in der die Schüler in der Schule waren. Für die Lernzeit hatte jede Klasse einen sogenannten Studiensaal. Das Klassenzimmer war für Unterricht, der Studiensaal für den Rest der Zeit. Dort hatte auch jeder Schüler Platz, um Schulsachen zu deponieren. Natürlich durften die Schüler in machen Freistunden nach draußen. Ab der Oberstufe mussten nicht mehr alle in einem Raum die Lernzeit verbringen, sondern es gab Studienzimmer, in denen jeweils vier, fünf Schüler gemeinsam Platz fanden.

 

Freitags fand nie Nachmittagsunterricht statt und alle wurden um 13:20 ins Wochenende entlassen, auch die Internen und Halbinternen. Ausgenommen waren jedoch diejenigen, welche sich im Laufe der Woche eine Einladung zum Nachsitzen erarbeitet hatten. Das fand immer am Freitagnachmittag statt. Ich war nie eingeladen. Dafür habe ich mich einfach stets zu brav verhalten.

 

Dennoch gab es in der ersten und zweiten Klasse eine Sache, die ich einfach nicht lassen konnte: Ich schaute manchmal in fremde Schulhefte hinein, da ich neugierig war, was meine Mitschüler so schrieben, und wissen wollte, wer ordentlich und wer eher schlampig war. Am meisten interessierte ich mich für Schularbeiten. Wie bin ich unbemerkt an die Hefte rangekommen? Wenn die ganze Klasse Sportunterricht hatte, blieb ich oft allein in der Klasse. Auch in manchen Freistunden, wenn viele Schüler draußen waren, nutzte ich hin und wieder die Gelegenheit, um fremde Hefte zu begutachten. Dazu fuhr ich mit meinem Rollstuhl zu den anderen Sitzplätzen. Wenn ich Glück hatte, lag das Heft bereits auf dem Tisch. Spannender war es aber, wenn ich versuchte, ein Heft der Begierde aus der Schultasche des Mitschülers zu nehmen, um es schnell anzusehen und anschließend wieder möglichst so einzuräumen, wie ich es vorgefunden hatte. Diese „Abenteuer“ gaben mir den Kick! Ich wusste, dass es eigentlich nicht in Ordnung war, und war darauf bedacht, nicht erwischt zu werden. Genau das machte für mich den Reiz aus. Es war wie eine Top-Secret-Mission, bei der man im Verborgenen arbeiten muss!

 

Der ein oder andere Mitschüler bemerkte schon, dass ich hin und wieder gerne einen Blick in Hefte erhaschte, die nicht mir gehörten. Manchmal, wenn ein Heft leicht zugänglich auf einem Tisch lag, blätterte ich es beiläufig etwas durch, wenn der Schüler, dem es gehörte, gerade nicht hier war. Einige andere Mitschüler, die währenddessen in der Klasse waren, konnten mich dabei sehen, falls sie denn darauf achteten. Es sagte allerdings kaum jemand etwas dazu, denn ich tat es ja nicht ganz so auffällig. Sie wussten wahrscheinlich (oder hoffentlich) nicht, dass ich, wenn keiner zuschaute, geradezu auf Mission ging und teilweise in fremde Schultaschen griff, nur, weil mich brennend interessierte, wie ein zufälliger Schüler in der letzten Schularbeit abgeschnitten hatte.    

 

Bis auf diese Sünde habe ich mir in der Schule aber kaum etwas zu Schulden kommen lassen. Falls es kleine Dinge gab, die nicht ganz korrekt von mir waren, bemerkte diese meist niemand und sie brachten mir keine Probleme ein.

 

Einen Spaß, der ebenfalls ohne Konsequenzen blieb, erlaubte sich die ganze Klasse am ersten April 2016. Wir drehten alle Tische und Stühle im Klassenzimmer so hin, dass wir der Tafel den Rücken zuwandten. Alle Lehrer spielten mit und stellten sich ans Pult, das sich nun quasi hinter der letzten Reihe befand. Somit wandten die Schüler der Leerperson den Rücken zu und konnten sie nicht sehen. Für mich war es eine ungewohnte Erfahrung, einmal in der letzten Reihe zu sitzen. Ich saß ja sonst immer in der ersten Reihe ganz nahe an der Tür, da dieser Platz mit meinem Rollstuhl am einfachsten zu erreichen war. Durch die umgedrehten Tische war die erste Reihe nun die letzte Reihe. Wir mussten an diesem Tag gar nichts von der Tafel abschreiben. Entweder hatte von den Lehrern ohnehin niemand vor, die Tafel zu benutzen, oder sie ließen sich tatsächlich von unserem Streich beeinflussen und dachten sich: „Na gut, es ist der erste April, lassen wir ihnen den Spaß!“

 

Wenn nicht der erste April gewesen wäre, hätten die Lehrer wahrscheinlich nicht so cool reagiert, was auch nachvollziehbar ist, denn ein bisschen Ordnung muss sein. Die meisten Lehrer legten zum Beispiel Wert darauf, dass die Schüler zur Begrüßung aufstanden. Unser Mathematiklehrer hingegen sah das eher als Zeitverschwendung an. Im Matheunterricht zählt eben jede einzelne der 3000 Sekunden, die in einer Schulstunde enthalten sind! Falls es doch jemand „wagte“, aufzustehen, witterte der Lehrer, dass der Schüler womöglich schlecht vorbereitet sei und diese Tatsache durch Höflichkeit zu kaschieren versuche. Bereits bei seiner ersten Stunde in der ersten Klasse verdeutlichte er seine Haltung: „Mir ist lieber, ihr könnt was, als ihr steht zur Begrüßung auf!“ Ich, der in Mathe richtig gut war und schon damals nicht mehr stehen konnte, sah das als absoluten Gewinn!

 

Spaß beiseite: Natürlich mussten bei allen Lehrern nur die Schüler aufstehen, denen es möglich war, also alle außer mir. Ein klassenfremder Lehrer, der eine Stunde als Vertretung übernahm, meinte wohl, das spezifizieren zu müssen, indem er seine Bitte an die Schüler, sich zu erheben, ergänzte um: „…alle, die können…“ Wahrscheinlich hatte er gedacht, die Aufforderung, aufzustehen, würde mich beleidigen. Etwas ähnliches passierte bei einem Workshop, als die Vortragende für ein Spiel wollte, dass alle Schüler aufstehen. Sie entdeckte mich und bemerkte ihren Fehler, der ihr unangenehm zu sein schien: „Oh, das war politisch nicht korrekt…“ Lieber wäre mir gewesen, sie hätte nicht so viel daraus gemacht, denn aus meiner Sicht wurde es erst dadurch zu einer unangenehmen Situation, weil sie mein „Anderssein“ damit erst recht zum Thema machte. Manchmal führt ausgerechnet die Angst, etwas Falsches gesagt zu haben, dazu, dass tatsächlich eine unangenehme Situation entsteht.

 

Normalerweise brachte mich jedoch niemand in unangenehme Situationen. Im Gegenteil: All die Jahre haben sich Menschen stets sehr darum bemüht, dass mein Schulalltag möglichst gut funktionierte. Wenn es darum ging, individuelle Lösungen zu finden, konnte ich immer mit Unterstützung rechnen. Unter normalen Umständen hätte ich mit dem Übergang in die Oberstufe in die Parallelklasse wechseln müssen. Bereits in der Unterstufe waren in meiner Klasse viele aus der Sportakademie. In der fünften Klasse kamen noch weitere dazu, während gleichzeitig einige Nichtsportler nach der vierten Klasse die Schule gewechselt hatten. Deshalb sollten die beiden Klassen so zusammengesetzt werden, dass alle Sportler in die A-Klasse - der ich bis dahin angehörte - und alle anderen in die B-Klasse gehen würden. Das hätte an sich auch Sinn gemacht, denn die Stundentafeln unterschieden sich etwas. Klar, die Sportler hatten mehr Sport, aber dafür beispielsweise kein Französisch. Da ich meine Klasse aber schon lange gewohnt war und ja auch für manches Unterstützung von den Mitschülern brauchte, wobei es von Vorteil war, dass sie mich bereits länger kannten, setzte sich meine Klassenvorständin sehr für eine alternative Lösung ein. Mit Erfolg! Ich durfte in meiner Stammklasse, der A-Klasse, bleiben, nahm in einzelnen Fächern aber am Unterricht der B-Klasse teil: Wie erwähnt in Französisch, aber auch in Latein, da die Sportler das erst ab der fünften Klasse hatten, die anderen, und somit ich, jedoch schon ab der dritten, weshalb ich bereits weiter fortgeschritten war. Außerdem hatte ich Geschichte mit der B-Klasse, da sich die Anzahl der Geschichtestunden zwischen Sportlern und Nichtsportlern leicht unterschied.

 

Die Stundenpläne beider Klassen waren genau aufeinander abgestimmt, sodass sich meine Stunden in der einen Klasse nie mit jenen in der anderen überschnitten. Wer auch immer sich um die Stundenpläne gekümmert hat: Ich möchte mich bei ihm oder ihr herzlich bedanken! All diese Mühen, um einem einzigen Schüler unterstützend entgegenzukommen? Das nenne ich Einsatz! Und ein gelungenes Beispiel für Inklusion: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg! Dieser Spruch gilt nämlich nicht nur für den Betroffenen selbst, sondern auch das Umfeld kann etwas beitragen, wie es in diesem Fall auch passiert ist!

 

Bevor ich Zeit in der B-Klasse verbracht habe, wusste ich nicht, dass es möglich ist, die Reste einer Fertignudelsuppe aus der Nachbarklasse zu dritt fertig zu essen und dabei anstelle von Besteck eine Schere herumzureichen. In der B-Klasse waren auch zwei Schüler, die in der Unterstufe noch in meiner Klasse gewesen waren, sodass sie mich schon kannten und wussten, wobei sie mir wie helfen konnten. Davon konnten die anderen natürlich lernen, sodass es auch in B-Klasse nach und nach mehr Schüler gab, die mir, wenn nötig, helfen konnten.

 

Generell bekam ich von den Mitschülern Hilfe und Unterstützung, wo immer es nötig war. In meiner Klasse gab es meist ein engeres Team von Mitschülern, die sich besonders kümmerten, aber eigentlich halfen auch alle anderen. Die Aufgaben waren zum Beispiel, mich im Rollstuhl von A nach B zu schieben oder mir zwischen den Stunden die Materialien für das jeweilige Fach auf meinem Tisch herzurichten.

 

Mit den zwei Liften im Schulgebäude, für die ich aus offensichtlichen Gründen einen Schlüssel besaß, hatten die Mitschüler auch ihren Spaß. Sie fuhren gerne mit und manchmal stiegen unnötig viele Leute ein. Teilweise nahmen mehrere Mitschüler eine Sache von mir, damit sie, wenn es eine Lehrperson sah, sagen konnten, dass sie mir helfen und nur deswegen mitfahren würden. Wenn es allerdings ein Mitschüler für eine gute Idee hielt, im Lift zu hüpfen, verstand ich keinen Spaß mehr! Von klein auf wurde mir beigebracht, dass ein Aufzug steckenbleiben könnte, wenn jemand darin hüpft. Ob das wirklich stimmt? Wer weiß? Aber falls es passiert wäre, hätte ich von allen im Lift das größte Problem gehabt, denn sportliche Kinder/Jugendliche sind vielleicht noch leichter zu befreien. Bei jemandem im Rollstuhl wäre das sicher komplizierter geworden.

 

Apropos kompliziert: Es wurde stets akzeptiert, wenn ich bei einer Sache, die sich für mich schwierig gestaltet hätte, nicht teilnehmen wollte. Falls ich einen bestimmten Ausflug nicht mitmachen wollte, oder nicht so einfach mitmachen konnte, war das für niemanden ein Problem. In den ersten Jahren war ich noch öfters bei Ausflügen dabei. Mal fuhren wir mit der Pfänderbahn auf den Pfänder, ein anderes Mal mit dem Zug nach Lindau, um von dort zurück nach Bregenz zu laufen, oder in meinem Fall, im Rollstuhl geschoben zu werden. Auch im Rahmen der Firmvorbereitung in der zweiten Klasse war ich bei mehreren Ausflügen dabei, zum Beispiel bei einer ganztägigen Wallfahrt zu einer Kirche und im Stadion des SCR-Altach, wo wir uns mit einem ehemaligen Schüler der Mehrerau trafen, welcher zu dieser Zeit bei Altach spielte.

 

Später ging ich nur noch selten mit bei Ausflügen, da das für mich dann noch schwieriger wurde. In der sechsten Klasse war ich zur Abwechslung doch wieder mal bei einer Exkursion dabei. Es war eine Zugfahrt nach München, wo wir das Deutsche Museum besuchten. Am Ende desselben Schuljahres, im Juni 2019, ging ich sogar mit auf große Klassenfahrt! Es ging nach Berlin, wo wir vier Nächte verbrachten. Natürlich brauchte ich eine Begleitperson als Unterstützung, weshalb ich meinen Vater mitnahm. Die Klasse war in einem recht schönen Hotel untergebracht. Der Zeitplan war nicht ganz so vollgepackt, sodass man auch mal Zeit zur freien Verfügung hatte. Dennoch gab es mehrere interessante Programmpunkte und vieles, das mir von den fünf Tagen in Erinnerung geblieben ist. Unter anderem waren wir in mehreren Museen, bei Überresten der Berliner Mauer und beim Bundestag. Außerdem gab es eine Besichtigung des Berliner Olympiastadions. An der Bootsfahrt auf der Spree konnte ich auch teilnehmen, allerdings war es ein kleines Abenteuer, auf die obere, sonnige Etage des Ausflugsboots zu kommen, wo alle anderen saßen. Einen Lift gab es in diesem Boot nicht, was wenig überraschend war. Allerdings war die Möglichkeit, nach oben zu gelangen, mehr Leiter als Stiege. Mit vereinten Kräften wurde ich in meinem Rollstuhl nach oben gebracht. Zum Glück hatte ich damals noch den leichten, unmotorisierten Rollstuhl. Mit meinem großen, schweren Elektrorollstuhl wäre das nicht möglich gewesen. (Drei Jahre danach war ich übrigens erneut mit meinem Vater in Berlin. Darüber gibt es ebenfalls einen Text! Er heißt "Berlin?! Bon Iver?! - BON VOYAGE!"


Die Wienwoche stand Im September 2019 an. Dort ging ich nicht mit, denn es war mir nicht so wichtig. Ein knappes Jahr zuvor war ich mit der Familie schon in Wien gewesen. Statt einem richtigen Hotelzimmer wie in Berlin hätte es diesmal Sechserzimmer gegeben. Beide siebten Klassen gingen mit und die Aktivitäten waren dichter getaktet mit weniger Zeit zur freien Verfügung. Angesichts dieser Umstände entschied ich mich dazu, lieber zu Hause eine stressfreie Woche zu verbringen. Wenn meine Klasse einen Ausflug oder dergleichen unternahm und ich nicht daran teilnahm, wurde zum Glück nie verlangt, dass ich die Zeit in einer anderen Klasse absitze, sondern ich durfte zu Hause bleiben. So war das zum Beispiel auch in der zweiten Klasse während der Schiwoche oder in der fünften, als der Rest der Klasse Sportwoche hatte. Das hatte einerseits den Grund, dass ich von Mitschülern gewisse Hilfen brauchte und es dadurch nicht so einfach gewesen wäre in einer Klasse, wo noch nie jemand mit mir zu tun gehabt hätte. Zweitens war ich auch einfach ein sehr guter, gewissenhafter Schüler, sodass die Lehrer es in Ordnung fanden, wenn ich einfach zu Hause blieb. Wenn es mir schon erlaubt wurde, wieso hätte ich es dann ablehnen sollen? Welcher Schüler nimmt freie Tage denn nicht an, wenn er sie kriegen kann?

 

Im November 2019 blieb ich allerdings unfreiwillig von der Schule fern: Ich verbrachte eineinhalb Wochen auf der Intensivstation und danach ungefähr nochmal so lang zu Hause, bis ich wieder fit genug für die Schule war. In dieser Zeit verpasste ich mehrere Schularbeiten, weshalb ich froh war über das Entgegenkommen der Lehrer. Ich musste nicht alles sofort nachschreiben, sondern nach und nach, verteilt über einen Zeitraum von einem Monat.

 

Es gab Lehrer, die mir auch aus anderen Gründen sympathisch waren. Mein Englischlehrer in der Oberstufe konnte zum Beispiel in gewissen Situationen gut subtilen Humor anwenden. Während einer Schularbeit erklärte er kurz für die ganze Klasse ein schweres Wort. Kaum eine halbe Minute später meldete sich ein Schüler, um nach der Bedeutung von genau diesem Wort zu fragen. „Gut, dass du fragst…“, antwortete der Lehrer und erklärte es erneut. So gab er den anderen Schülern etwas, um sich heimlich zu amüsieren, ohne den einen dafür bloßzustellen.

 

Manche Schüler stellten jedoch bewusst die dümmsten Fragen, um die Geduld der Lehrpersonen auf die Probe zu stellen. Im Physikunterricht wollte unser Lehrer ein Experiment mit einem Fußball durchführen. „Isch des an Ball, oder an Basketball?“, rief ein Schüler heraus, der sich wahrscheinlich besonders kreativ vorkam. Leider traf er damit nicht gerade den Humor des Lehrers, denn dieser schickte ihn raus aus dem Physiksaal und gab ihm eine Sonderaufgabe mit, die er allein im Klassenzimmer bearbeiten musste.

 

Auch bei einem Experiment im Chemieunterricht hatten ein paar Mitschüler eine kreative Idee. Zur Demonstration einer Thermitreaktion ging die Klasse nach draußen in den Schulhof. Dort fand jemand einen Sack alte Hundekacke. Schnell bildeten mehrere Schüler einen Kreis. Einer warf den Sack in die Luft, nachdem er verkündet hatte: „Derjenige, auf dem es landet, ist ein Opfer!“ Wenn sich Schüler in der vorletzten Klasse so benehmen, zeigt das, dass sie besonders reif im Kopf sind und die Matura kommen kann!

 

Die letzten eineinhalb Jahre auf dem Weg zur Matura liefern anders als geplant, denn ab März 2020 zwang uns die Pandemie ins Distance-Learning. Der Unterricht über Videokonferenz hielt auch die ein oder andere lustige Situation bereit. Im Französischunterricht mit der B-Klasse taten manche Schüler immer wieder so, als würden sie die Lehrerin nicht hören, indem niemand antwortete. Nach ein paar Sekunden sagte ein Schüler: „Wir hören Sie nicht!“ Nachdem die Schüler ein paar weitere Sekunden der Unterrichtszeit verschwendet hatten, hieß es dann: „Ah, jetzt geht’s wieder…“ Eine andere Möglichkeit, um zu stören, bestand darin, dass jemand sein Mikrofon einschaltete und schiefe Flötentöne abspielen ließ. Während des Englischunterrichts besaßen zwei Schüler die Dreistigkeit, sich in der Videokonferenz, also für alle hörbar, zu unterhalten. Der Lehrer reagierte jedoch gelassen: „Wenn ihr mit eurem Gespräch fertig seid, darf ich dann wieder etwas sagen?“


Auch in meinem allerletzten Schuljahr, als meine Mitschüler zumindest zeitweise wieder Präsenzunterricht hatten, verblieb ich stets im Home-Schooling, da ich zu einer Risikogruppe gehöre, was Atemwegsinfekte anbelangt. In dieser Zeit wurde ich von den Lehrern stets gut mit Lernmaterial versorgt. Ein Lehrer machte regelmäßig Videocalls mit mir, um die Inhalte zu erklären, die er in den vorangegangenen Stunden mit der Klasse durchgenommen hatte. Man erlaubte mir sogar, die Schularbeiten zu Hause zu schreiben! Das nenne ich Vertrauen! Dieses Vertrauen kam aber auch nicht von ungefähr. In den sieben Jahren davor hatte ich mir durch mein stets braves Verhalten und die konstant guten Leistungen bei den Lehrern einen gewissen Ruf erarbeitet.

 

Für die Maturaprüfungen kam ich doch noch an drei Tagen in die Schule. Die schriftlichen Prüfungen in Mathematik, Deutsch und Englisch standen an. Die mündlichen Maturaprüfungen wurden für unseren Jahrgang österreichweit erlassen, Corona sei Dank! Für mich wurde extra ein eigener Raum organisiert, denn wegen den Coronaschutzbestimmungen herrschte im Prüfungssaal Maskenpflicht. Aufgrund meiner geringeren Atemkraft wäre das für mich schwierig geworden, also fand die Schule wie selbstverständlich eine Lösung, um meinen Bedürfnissen gerecht zu werden.

 

Ich bestand die Matura mit ausgezeichnetem Erfolg. Und so endete schließlich meine Schulzeit. Wenn ich mich jetzt an die Jahre am Collegium Bernardi Mehrerau erinnere, wird mir bewusst, was für eine gute Zeit ich dort oft hatte und wie wertvoll und prägend dieser Lebensabschnitt eigentlich ist.

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Gast
15. Sept.

Lieber Paul!

Es freut mich sehr zu lesen, wie gut es Dir in der Schule gefallen hat!

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