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Berlin?! Bon Iver?! - BON VOYAGE! (3. Text zu „Bon Iver“)

  • Autorenbild: Paul Wechselberger
    Paul Wechselberger
  • 15. Juni 2023
  • 9 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 16. Mai

Nun kommt also die zweite Hälfte meiner Geschichte über ein besonderes Erlebnis:


Jetzt, wo der Kalender offen auf dem Tisch lag, mit der ganzen Familie im gleichen Raum, war der perfekte Zeitpunkt gekommen, mein Vorhaben zu verkünden. Ich musste nur einen guten Einstieg finden, was sich erheblich dadurch vereinfachte, dass mein Vater sagte, dass er sich überlegt habe, übernächste Woche für zwei Tage mit dem Zug nach Innsbruck zu fahren, was nun jedoch zu kurzfristig war. Somit begann ich damit, dass er ja vielleicht mal mit mir eine Zugfahrt machen könnte, und zwar an einen Ort, an den wir bereits vor drei Jahren auf dieselbe Art gereist seien. Konkret wolle ich am 31. Oktober in Berlin sein, denn da finde etwas Bestimmtes statt. Schließlich erzählte ich, es gebe eine Band, die mir seit mehreren Monaten so gefalle, dass ich unbedingt auf eines ihrer Konzerte wolle und sie nicht so oft in der Nähe seien, weil sie aus Amerika kommen.


Als erstes fragte meine Mutter, ob ich nachgeschaut habe, ob sie vielleicht auch nach Zürich oder München kommen würden. Ihr war wohl noch nicht klar, wie genau ich mich bereits informiert hatte. Bis alle wussten, dass es mir sehr ernst und wichtig war, brauchte es einige Minuten, denn bisher hatte ich einfach noch nie den Wunsch geäußert, auf ein Konzert zu gehen. Doch ab dem Zeitpunkt war spürbar, dass sie mich bei meinem Wunsch voll unterstützen wollten.


Schon bald bestellten wir zwei Karten und wählten bewusst Plätze mit gerader Sicht auf die Bühne, was aber mit einer weiteren Entfernung verbunden war. Das war mir jedoch nicht unrecht, denn dort würde es dafür nicht so laut sein, wie weiter vorne. Ich suchte nach einem geeigneten Hotel in der Nähe der Mercedes-Benz Arena, in welcher das Konzert stattfinden sollte. Erst etwas später kümmerten wir uns um die Planung der Zugfahrt. Wir mussten immerhin nicht extra den Patientenlift mitnehmen, den ich zur Verrichtung meines „großen Geschäfts“ brauche. Mein Bruder machte nämlich via Internet einen Verleih für solche Hilfsmittel ausfindig, der sich in der Umgebung befand und einen Lift per Spedition direkt zum Hotel bringen würde. Der Preis dafür war zwar nicht gerade niedrig, doch wir fand, dass es das absolut wert sei.


Bereits mehrere Wochen vor der Reise entdeckte ich nicht nur, dass sich auf dem Platz vor der Arena viele Restaurants befinden, sondern warf auch per Internet kurze Blicke in deren Speisekarten. Außerdem sah ich, dass es auf Google Earth viele Bilder von der Mercedes-Benz Arena gibt, auch vom Innenraum. Ich fand sogar ein Foto, das genau an unseren Plätzen gemacht wurde.


Natürlich waren nicht alle anfänglichen Sorgen weggewischt, da immer noch unerwartet eine Panne hätte auftreten können. Ich sagte mir selbst sogar immer wieder, dass ich mir der Sache erst dann zu 100 Prozent sicher sein könne, wenn ich wirklich im Konzert sitzen und das erste Lied beginnen würde. Auch sollten nicht unnötig viele Leute im Voraus davon erfahren, denn falls es kurzfristig doch nicht klappen würde, wollte ich es vermeiden, dass sie nachher fragen, wie das Konzert gewesen sei. Es zu verpassen, würde ich so schon sehr bedauern, sodass ich dann nicht unbedingt Lust hätte, mit lauter Menschen darüber zu reden. Wie das Konzert näher und näher rückte, wurde mir allmählich bewusst, dass meine Denkweise wohl etwas pessimistisch gewesen war und man auch mit deutlich weniger Sorgen auskommen könnte.


Das Einzige, was nicht ganz geradlinig verlief, war die Planung einer geeigneten Zugrute. Die ursprünglich vorgesehene enthielt einen Abschnitt, der mit Schienenersatzverkehr überbrückt werden sollte, wofür wir ein „Taxi“ hätten organisieren müssen, welches eine Einstiegsrampe hat und bei dem ich im Rollstuhl sitzen bleiben könnte. Glücklicherweise fand mein Vater einen alternativen Zug, der keinen Schienenersatzverkehr enthielt, dafür aber nicht direkt in Bregenz losging. Stattdessen würden wir zunächst mit unserem Auto zum Bahnhof „Lindau-Reutin“ fahren. Circa eine Woche vor Reiseantritt wurde auch für diesen Zug plötzlich Schienenersatzverkehr wegen Gleisarbeiten gemeldet. Da es eher den Anfang der Strecke betraf, kam uns die Idee, mit dem Auto einfach bis zum ersten Bahnhof „nach der Baustelle“ zu fahren. Durch Anruf beim Kundenservice erfuhren wir, dass sich die Baustelle lediglich zwischen dem ersten und dem zweiten Bahnhof befand, sodass wir nur die zwei Kilometer weiter bis nach „Lindau Hauptbahnhof“ müssten.


Endlich kam der Tag unserer Abreise: Der Zug ging am 30. Oktober, Sonntagmorgen um halb zehn. Es spielte uns in die Karten, dass in der vorherigen Nacht die Uhren zurückgestellt worden waren, wodurch es nicht so schlimm war, am Sonntag um acht aufzustellen. Vor Aufregung erwachte ich bereits am früheren Morgen mehrmals kurz. Als wir dabei waren, die Wohnung zu verlassen, brauchte ich einen Moment, um die Türschwelle zu überwinden, was völlig normal ist, gerade, wenn die Reifen nicht mehr ganz so viel Luft haben. Das Problem ist auch, dass ich generell nicht zu schnell über die Schwelle fahren kann, da ich sonst in meiner gesamten Sitzposition verrutschen würde. Ich wusste, dass es schon noch klappen würde, notfalls müsste jemand kurz anschieben. Meine Eltern wurden jedoch bereits leicht nervös. Ich versuchte, mich nicht davon anstecken zu lassen und nach wenigen Sekunden schaffte ich es erfolgreich hinaus.


Dann fuhren wir also nach Lindau zum Bahnhof, wo es nicht nur etwas nebelig war, sondern scheinbar auch ziemlich menschenleer. Der Regionalzug, welcher uns zunächst nach München brachte, stand schon lange vor Abfahrt zum Einsteigen bereit und ich benötigte nicht einmal die Rampe, da der Bahnsteig genau die richtige Höhe hatte und auch kaum ein Spalt vorhanden war. Während zunächst recht wenige Menschen im Zug saßen, wurde er mit jeder Haltestelle etwas voller und vor Ankunft in München um kurz nach Zwölf war es fast ein wenig eng. Dass Maskenpflicht herrschte, war angesichts dessen gut und wichtig, doch für jemanden wie mich, der ohnehin keine besonders kräftige Atemmuskulatur hat, war es schon eine Herausforderung. Zumindest war sie nicht ganz so eng und ich konnte sie hin und wieder für kurze Zeit abnehmen. (Immer noch viel angenehmer, als mit einem Atemwegsinfekt auf der Intensivstation zu liegen, wie ich es sehr genau drei Jahre davor selbst erleben musste. In ein paar Monaten werde ich mehr darüber erzählen!)

Wir hatten eine halbe Stunde Zeit, um in den ICE von München nach Berlin umzusteigen, sodass wir vorher noch eine Toilette für mich suchen. Leider fanden wir keine! Halb so schlimm: Ich musste noch nicht so dringend und es gibt ja auch eine Zugtoilette. Über eine Art mobile Hebebühne wurde ich erstmal in den Zug hineingeleitet. Zum Glück kann ich das kleine Geschäft im Rollstuhl sitzend verrichten, man muss nur mein Becken weiter nach vorne bringen und dann eine für diesen Zweck vorgesehene Flasche hinhalten, die ich immer dabeihabe. Es wäre aber gut, wenn der Zug während des Vorgangs stillstehen würde, da ich dabei ohnehin keinen optimalen Halt habe. Kurz vor Nürnberg begaben wir uns in die Klokabine. Während der ICE also noch in Bewegung war, bereiten wir alles vor, wodurch sich im kurzen Zeitfenster des Stillstands alles Notwendige gut ausging.


Gefühlt stündlich erinnerte ich meinen Vater explizit an die Konzertkarten, fragte, in welcher Tasche sie seien und stelle sicher, dass er diese Tasche nirgends vergessen würde. Das ganze andere Gepäck war mir - vergleichen mit den Karten - eher weniger wichtig. Gerade in den letzten beiden Stunden war der ICE sehr gut gefüllt, auch viele Familien mit Kindern waren an Bord. Am Berliner Hauptbahnhof wurden wir fast von der Zugtür weg bis zu unserer S-Bahn begleitet, die uns dann zur „Warschauer Straße“ brachte. Von dort aus mussten wir nur noch den Weg zum Hotel finden. Es war schon dunkel, etwas kalt und möglicherweise gingen wir auch einen kleinen Umweg. Doch auch Umwege führen irgendwann zum „Holiday-Inn“-Hotel! Unser Zimmer war sehr großzügig und der Patientenlift war wie geplant bereits geliefert worden.

Da wir untertags kaum was gegessen hatten, suchten wir bald eines der nahegelegenen Restaurants auf. Von der Art her handelte es sich um ein Gasthaus mit sehr großer, abwechslungsreicher Speisekarte, in dem aber wohl alles sehr gut schmeckt. Um so richtig reinhauen zu können, bestellten wir jeweils Vor- und Hauptspeise. Der Nachtisch, der mich bereits mehrere Wochen vorher beim Durchschauen der Karte im Internet angelacht hatte, war leider schon aus, was ich fast ein bisschen befürchtet hatte. Ich musste also eine andere Nachspeise wählen.


Eine weitere Sorge, die sich bestätigte: Die Matratze! Sie war seltsam weich und nachgiebig, sodass mein Körper teilweise leicht darin einsank. Dadurch konnte ich mich in meiner üblichen Seitenlage nicht richtig zurechtfinden, dabei ist meine Positionierung zu Hause im gewohnten Bett schon kompliziert genug und dauert auch mal einige Minuten. Ich konnte in der ersten Nacht ewig nicht einschlafen, musste öfter die Position wechseln und unter der Decke war mir immer wieder zu heiß. In der zweite Nachthälfte besserte sich die Situation etwas.


Am Tag des Konzerts war der Himmel strahlend blau, sodass wir ein wenig die Umgebung erkundeten, oder anders ausgedrückt: Wir entfernten uns keine 200 Meter vom Hotel! Aber trotzdem konnten wir das Wetter genießen. Bevor wir zurück ins Hotelzimmer gingen, um uns vor dem Konzert auszuruhen, gab es etwas zu Essen in einem japanischen Restaurant.

Um vom Hotel zur Mercedes-Benz Arena zu gelangen, die wir in den vergangenen 24 Stunden immer wieder in all ihrer Pracht bestaunt hatten, mussten wir weniger als 100 Meter zurücklegen und dabei nur einmal die Straße überqueren.

Beim Einchecken in die Arena wurde uns für alle Fälle mitgeteilt, wohin wir uns im Falle einer notwendigen Evakuierung begeben müssten. Danach wurden wir mit einem Lift auf die Etage gebracht, von der aus wir eineinhalb Stunden vor dem geplanten Konzertbeginn zu unseren Plätzen gelangten. Geschafft! Jetzt waren wir da, alles hatte geklappt, auch die Karten hatten wir immer erfolgreich bei uns behalten! Etwas klein wirkte die Bühne, so weit, wie wir eben entfernt waren. Letztendlich betrug die Wartezeit zwei Stunden, bis die „Show“ endlich begann, denn zuvor hatten ein paar „Vor-Acts“, also andere Musiker, insgesamt eine halbe Stunde bekommen. Dabei empfand ich den Klang einer Trompete als unangenehm laut und sorgte mich etwas, ob ich die generelle Lautstärke gut verkraften würde, wenn schon ein einzelnes Instrument so laut ist. Immerhin konnte ich mich in dieser halben Stunde etwas an den „Geräusch-Pegel“ gewöhnen und es stellte sich heraus, dass ich im Großen und Ganzen damit zurechtkam, denn die Töne der Trompete waren, im Gegensatz zu den meisten anderen, besonders schrill gewesen.


Das eigentliche Konzert dauerte von etwa 20:45 bis 22:30 Uhr und es wurde nur ab und zu für einige Sekunden unangenehm laut, ansonsten hielt ich die Lautstärke recht gut aus. Die Band spielte 21 Songs, vermehrt die aus den neueren Alben, wie zu erwarten war. Besonders ab der zweiten Hälfte wurde es die sehr eindrückliche, teilweise emotionale Erfahrung, die ich mir die letzten Monate sehr oft vorgestellt hatte. Dann wurden nämlich auch einige ältere Lieder gespielt, von denen es nach meinem Geschmack ruhig ein paar mehr hätten sein können. Doch ebenso manche etwas neuere Songs bargen Überraschungen, da ich zum Beispiel auf mehreren Konzert-Videos aus dem bisherigen Jahr nur verkürzte Versionen von „____45_____“ gefunden hatte ohne den Teil, den ich besonders mag. Für mich ziemlich unerwartet, spielen sie jedoch eine längere Version und auch das folgende Lied enthielt eine kurze positive Veränderung. Die Lichtshows erfüllten ebenfalls meine Erwartungen.

Gefühlt gingen die 105 Minuten rasch vorbei, vielleicht schneller als mir lieb war, was bei so schönen Dingen ja häufiger der Fall ist. Zwei Lieder, die ich mir auch noch fest gewünscht hätte, die aber nicht kamen, sind „Beth/Rest“ und „Blindsided“, die beide zwei Tage später in Amsterdam gespielt wurden, wie ich später aus dem Internet erfuhr. Überhaupt hätten die folgenden zwei Konzerte etwas mehr alte Songs enthalten. Also nicht ganz perfektes Timing, aber gleichzeitig ein Zeichen dafür, dass Bon Iver auf einer Tour nicht immer nur das Gleiche zu bieten hat, sondern von Tag zu Tag etwas Abwechslung hereinbringt.


Jedenfalls war dieses Konzert ein einzigartiges Ereignis, das es für mich in der Form so schnell nicht wieder geben wird. Oder etwa doch? Vielleicht weiß die nächste Abbildung mehr darüber!

Etwa zwei Wochen nach dieser „Reise“, als ich mal wieder auf die Instagram-Seite der Band ging, auf der innerhalb der letzten drei Wochen bereits immer wieder einzelne Konzertdaten für 2023 bekanntgegeben worden waren, sah ich einen neuen Beitrag. Es handelte sich um die Bekanntgabe weiterer Konzerte für Mitte Juni, darunter in Wien und Zürich. Ich machte umgehend einen Screenshot und schickte ihn meinem Vater. Als drei Tage später der Kartenverkauf startete, machte ich mich gleich daran, Tickets für das Konzert in Zürich zu bestellen. Somit war ich natürlich früh genug und unsere Plätze sind diesmal etwas weiter vorne statt ganz hinten wie beim letzten Mal.


Da die Fahrt nach Zürich nicht mehr als zwei Stunden dauern sollte, werden wir diesmal das Auto nehmen, da es ja schon auch seine Vorteile hat, sich nicht um die Zugreservierung kümmern oder zur festgelegten Zeit am Bahnhof sein zu müssen. Außerdem kann man deutlich einfacher viel Gepäck mitnehmen. Bleibt nur zu hoffen, dass ich in meiner Sitzposition während der gesamten Fahrt komfortabel bleiben werde. Wenn alles nach Plan läuft, werde ich heute Abend (15. Juni 2023) zum zweiten Mal live vor Ort ein Bon-Iver-Konzert genießen. Vielleicht heute mit noch ein paar mehr alten Songs? Obwohl auch gesagt werden muss, dass ich an manchen Liedern des neusten Albums in den letzten sieben Monaten nochmal mehr Gefallen gefunden habe!


Als meine Ohren und mein Geist das erste Mal zufällig von einem Bon Iver-Song beglückt wurden, wäre ich nie darauf gekommen, dass mir diese Band bald so wichtig sein würde, dass ich sie nicht mal zwei Jahre später bereits zum zweiten Mal live sehen/hören sollte.











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