top of page

Die gute Nachricht zuerst: "Der Paul liegt am Boden!" – Ein ganz normaler Morgen

  • Autorenbild: Paul Wechselberger
    Paul Wechselberger
  • 14. Apr. 2023
  • 7 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 23. Dez. 2023

(Das folgende Erlebnis ereignete sich vor ungefähr eineinhalb Jahren, das verwendete Bild im Titel ist aber acht Jahre älter und dient eher als Anschauungsbeispiel.)


Ich liege im Bett, bin aber schon richtig positioniert im Gurt, den unsere für diesen Vormittag anwesende Assistentin nur noch in den „Haken“ des Patientenlifts einhängen muss, um mich aus dem Bett zu holen. Davor fährt sie den „Liftarm“ etwas herunter und nachdem sie den Knopf losgelassen hat, senkt sich der Lift für wenige Sekunden weiter, ehe er stehen bleibt. Gestern, als eine andere Assistentin da war, ist das gleiche passiert. Meine Erklärung im Kopf ist, dass der Knopf schon abgenutzt ist und daher zu sehr eingedrückt wird. Da der Lift auch mit einer zugehörigen Fernbedienung gesteuert werden kann, denke ich, es könne nichts passieren, wenn man nur sie verwendet.


Jetzt wird der Lift nach oben gefahren und ich werde wie jeden Morgen zunächst in den Gurten „sitzend“ über die Toilette geschoben. Im Normalfall wird der Lift nun etwas nach unten gefahren, sodass ich ganz normal mein großes, morgendliches Geschäft verrichten kann. Wenn dann alles erledigt ist, wird der Kranarm wieder hinaufgefahren und der Lift anschließend zu meinem Rollstuhl geschoben, wo man mich aus dem „Liftgurt“ wieder aushängt, während ich bereits wieder recht gesichert sitzen kann. Genauso erwarte ich mir das Ganze heute wieder, doch es sollte zu einer unerwarteten Überraschung kommen.


Als die Assistentin den Knopf loslässt, da ich bei der Toilette nun weit genug abgesenkt bin, fährt der Liftarm wie von Geisterhand weiterhin nach unten. Ich sage schnell, dass sie den Knopf mit dem Pfeil nach oben drücken soll, was vermeintlich funktioniert. Sobald der Knopf jedoch losgelassen wird, geht es wieder hinunter. Auch wenn man den Aufwärtsknopf gedrückt hält, scheint der Lift seine Höhe nicht halten zu können, sodass er mich wieder (ins Klo) „hängen“ lässt. Mein Hintern- und besonders der Steißbeinbereich hängen mittlerweile so tief in die Klomuschel hinein, dass sie leicht an etwas Hartem anstoßen und auch die Oberschenkel sind zur Hälfte in der Versenkung. Dass ich mich überhaupt noch auf irgendeine Art in einer sitzenden Position befinde und ich noch nicht komplett ohne Halt bin oder der Kranhaken auf meinen Kopf drückt, liegt wohl nur daran, dass meine Assistentin ihren Körper von unten förmlich gegen den Litfarm stemmt. So ist es aber völlig unmöglich, mich hoch genug zu bekommen, dass mein Hintern über der Toilette hängt und gleichzeitig den ganzen Lift von selbiger wegzuschieben. Die einzige Möglichkeit, mich aus der suboptimalen Situation zu befreien, ist, den Haken, an dem die ganzen Gurte befestigt sind, komplett auszuhängen, also vom Lift zu trennen. Da man meinen Körper natürlich nicht einfach hinunterkrachen lassen darf, hält die Assistentin den Haken gut fest, während sie mit der anderen Hand versucht, den Mechanismus zu betätigen, durch den der Haken gelöst wird, von dem ich bisher weder gewusst habe, wie er funktioniert, noch, ob er überhaupt ohne Werkzeug zu lösen ist. Glücklicherweise schafft sie es sehr schnell und ohne mich fallen zu lassen, sodass sie nun beide Hände fest am Haken hat. Der spontan geschmiedete Plan ist nun, mich zurück zum Bett zu bringen, um mich darin abzulegen. Sie stemmt den Haken mit allem, was an ihm dranhängt, etwas in die Höhe, damit er auf ihrer Schulter aufgestützt sein kann. Meine Beine hängen etwas über den Boden, sind der Assistentin zugewandt und generell eher fragil, denn auch wenn sie nur leicht überbeugt werden, oder ähnliches, kann ich mir schnell eine schmerzhafte Verletzung holen. (Darin habe ich bereits viel Erfahrung.) Deswegen bitte ich sie, während des Gehens nicht an ihnen anzustoßen, was bewerkstelligt wird, indem sie sich breitbeinig aufstellt, sodass meine Beine zwischen ihren Knien Platz haben. In dieser Haltung kann sie sich jedoch fast nur seitwärts und in Minischritten fortbewegen. (laut ihren eigenen späteren Beschreibungen: „wie eine japanische Prinzessin“.) Vor dem ins Bett legen bin ich etwas in Sorge um meine Beine, da diese dabei anstoßen oder sich einquetschen könnten, weil sich unsere Assistentin mehr auf den Haken konzentrieren muss. Glücklicherweise – auch wenn der folgende Satz nicht unbedingt nach einem klingt, der mit „glücklicherweise“ beginnt – geht ihr einen Meter neben dem Bett die Kraft aus und ich kann nur noch auf den Boden gelegt werden. Was daran positiv sein soll? Mich auf den Boden zu legen ist in dieser Situation wesentlich einfacher, als alles in die Höhe stemmen zu müssen, um mich ins Bett zu bekommen, und es bieten sich weniger Hindernisse für die Beine. Mithilfe meiner Anweisung legt sie mich sanft auf den Boden, ohne, dass die Beine irgendwo anstoßen oder der Rücken durchhängt.


Um nicht ganz so unbequem liegen zu müssen, bringt sie mir gleich Kissen und Decke. Allerdings kann sie mich vom Boden schlecht alleine aufheben, und wenn, wäre das für mich möglicherweise unangenehm. Deshalb versucht sie, telefonisch meine Mutter zu erreichen, doch da sie beschäftigt ist und erstmal nicht rangeht, schreibt die Assistentin ihr die Nachricht, dass es einen Notfall gebe und bittet um baldiges Zurückrufen. Natürlich hat es deswegen so eilig, weil sie mich schnell in eine angenehmere Lage bringen möchte, aber immerhin kann ich sie schonmal ein wenig damit beruhigen, dass wir im Keller noch einen zweiten Patientenlift haben; einen zusammenlegbaren, den wir ursprünglich fürs „Reisen“ gekauft haben. Somit ist zumindest geklärt, dass weiterhin alles „normal“ funktionieren wird, sobald ich vom Boden „entfernt“ worden sein werde.


Schließlich ruft meine Mutter zurück und bekommt erstmal einen großen Schreck eingejagt, weil unsere Assistentin, die ja alles miterlebt hat und weiß, dass ich es schadlos überstanden habe, das Telefongespräch mit dem Satz: „Der Paul liegt am Boden!“ beginnt. Erst, als sie dann erklärt, warum ich am Boden liege und dass es mir gut geht, kann meine Mutter wieder durchatmen. Sie selbst kann gerade nicht gut weg, erreicht aber eine ihrer Freundinnen, die in der Nähe wohnt und Zeit hat. Nach recht kurzer Zeit kommt diese auch schon bei uns an und ich kann endlich vom Boden aufgehoben und in mein Bett gelegt werden, was durch die Zusammenarbeit beider „Helferinnen“ sanft und angenehm für mich abläuft.


Nun brauchen wir nur noch den Ersatzlift!


Die Assistentin macht sich auf in den Keller, um ihn zu finden, wofür man zuerst noch erklären muss, welcher Schlüssel benötigt wird und durch welche Türen sie zu unserem Kellerabteil gelangt. Währenddessen bleibt die Freundin unserer Mutter mit mir sowie meinem Bruder in der Wohnung und ist sehr bemüht um mein Wohlbefinden. Da sie zusammen mit meiner Mutter in einem Chor ist, fragt sie auch zum Spaß, ob sie mir etwas vorsingen soll.


Nach einiger Zeit hat die Assistentin den Lift erfolgreich ausfindig gemacht, obwohl er in seiner Tasche, in der man ihn auf Reisen mitnimmt, etwas versteckt ist, und bringt ihn in die Wohnung. Er ist momentan aber noch zusammengefaltet, doch mithilfe genauer Anweisungen meines Bruders gelingt es, ihn auszuklappen und somit funktionstüchtig zu machen. Jetzt kann ich mit einstündiger Verspätung ein zweites Mal versuchen, in meinen Tag zu starten. Diesmal klappt aber alles mit Erfolg!


Tatsächlich überstand ich alles unbeschadet, einzig am Steißbein spürte ich für den Rest des Tages immer wieder einen ganz leichten Schmerz, von dem am nächsten Morgen aber zum Glück nichts mehr übrigblieb. In den folgenden Tagen kam ein Mechaniker vorbei, um sich den Liftschaden anzusehen und möglicherweise zu reparieren. Doch nachdem er sah, dass der Lift nach Loslassen des „Aufwärtsknopfes" sofort wieder absinkt, und etwas herumprobiert hatte, meinte er nicht nur, so etwas dürfe überhaupt nicht passieren, sondern kam auch zu dem Schluss, dass das Problem nicht zu beheben sei. Aus diesem Grund benutzen wir seitdem ausschließlich unseren „Reiselift“. Der Haken des alten Liftes liegt übrigens noch heute in unserer Wohnung herum.


Im Nachhinein betonte meine Mutter nochmal, dass es sie sehr erschreckt habe, zuerst „Der Paul liegt am Boden!“ zu hören, ohne zu wissen, was überhaupt passiert war, da sie dann zunächst von allen möglichen, viel schlimmeren Dingen ausgegangen sei. Das ist unserer Assistentin so unangenehm, dass sie sich später bei unserer Mutter so überschwänglich entschuldigt, dass sie schon wieder einen Schreck kriegt, da sie denkt, es gäbe irgendwelche schlechten Nachrichten, bevor klar wird, dass sich die Entschuldigung nur auf das vorherige Gespräch bezieht. Gut, dass sie sich für das überschwängliche Entschuldigen nachher nicht noch überschwänglicher entschuldigt hat, sonst hätte meine Mutter möglicherweise zum dritten Mal kurz Angst bekommen!


Diese nicht ganz ideale Kommunikation, die besonders für unsere Mutter zu unnötigem Stress geführt hat, sollte jedoch auf keinen Fall darüber hinwegtäuschen, dass meine Assistentin in dieser unvorhersehbaren Notsituation, auf die man sich nicht wirklich vorbereiten kann, alles getan hat, um mich wieder heil aus dieser herauszukriegen. Vom Bemerken des Problems bis zum mich sicher auf den Boden Retten hat sie nicht nur alles richtig gemacht, sondern auch so, wie man es, entsprechend den Umständen, nicht besser hätte umsetzen können.


Man darf aber auch den anderen Beteiligten danken: Meiner Mutter, die, obwohl in der Arbeit, schnell eine Helferin organisiert hat, der einen Freundin, welche sich ohne Zögern auf den Weg zu mir gemacht hat, sowie meinem Bruder, der mir durch die Beaufsichtigung des sicheren Aufbaus des Ersatzliftes ein zweites Fiasko erspart hat! Außerdem auch noch mir, ohne den niemand dieses Abenteuer hätte erleben dürfen! - Vielleicht muss man dafür aber eher dem defekten Lift danken!


Was bleibt, sind ein paar „Was-wäre-wenn-Fragen“: Was wäre, wenn es bereits am Tag davor passiert wäre, als eine Assistentin da war, die nicht so viel Kraft hat und Schulterprobleme? Mein Bruder benutzte mit ihr dort auch den Lift und sein Rücken ist nochmal deutlich empfindlicher als meiner. Oder wenn eine unerfahrenere, weniger intelligente Person anwesend gewesen wäre: Hätte sie es dann geschafft, den Haken auszuhängen und mich gleichzeitig in der Höhe zu behalten? Oder wäre ich abgestürzt, oder im Klo versunken und hätte in einer vielleicht wortwörtlich „atemberaubenden“ Haltung ausharren müssen, bis die Feuerwehr zu meiner Rettung kommt? Es sind Dinge, über die man zur eigenen psychischen Unversehrtheit besser nicht nachdenken sollte. Dafür wird einem aber auch bewusst, welches Glück man in manchen Situationen, die zwar sehr ungünstig oder unangenehm ablaufen, trotzdem eigentlich noch hat, da ja so viel Schlimmeres passieren könnte!

Ähnliche Beiträge

Alle ansehen
Glück hat Heinz leider keins

Bei der Suche nach einem neuen „Schulfahrer“, damals noch für meinen Bruder und mich , wurde uns jemand vermittelt, der sich an einem...

 
 
 

Comentarios

Obtuvo 0 de 5 estrellas.
Aún no hay calificaciones

Agrega una calificación
bottom of page