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Glück hat Heinz leider keins

  • Autorenbild: Paul Wechselberger
    Paul Wechselberger
  • 15. Jan. 2023
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 16. Mai

Bei der Suche nach einem neuen „Schulfahrer“, damals noch für meinen Bruder und mich , wurde uns jemand vermittelt, der sich an einem Freitagnachmittag bei uns vorstellte. Das Gespräch dauerte gut und gern zwei Stunden, was vor allem dem starken Mitteilungsbedürfnis dieses Herrn zu verdanken war. Zuletzt sei er in einem Programm für Arbeitslose gewesen mit „Aufgaben“ von eher zweifelhafter Sinnhaftigkeit, deren Monotonie dafür aber sehr hoch sei. Besonders viel erfuhr man von seinen früheren Jobs, sowie deren Schattenseiten.


In seinen vielen Jahren als Taxifahrer habe Heinz (Name geändert) gerade in der Nachtschicht recht wenige Kunden gehabt, dafür aber immer wieder stark betrunkene, denen er hinterher putzen konnte, wenn der ein oder andere sich im Auto übergeben habe. Auch hätte er es oft ausbaden müssen, wenn ihn ein Kollege mal wieder kurzfristig hängen gelassen habe, und sei dadurch manchmal selbst in Schwierigkeiten geraten. Bei seiner Hausmeisterstelle hätten die Bewohner ihm absichtlich viel Dreck hinterlassen und dort, wo er gerade sauber gemacht habe, sei am schnellsten wieder alles schmutzig gemacht geworden. Manche seiner Berufsbewerbungen seien schon gescheitert, sobald das Gegenüber beim ersten Gespräch von seinem Diabetes erfuhr. Schon seine Schulzeit sei nicht ganz einfach gewesen, da er eine Rechenschwäche gehabt habe und dadurch auch sonst keine gute Schulförderung erfahren durfte.


Bevor er mich das erste Mal am Morgen fuhr, teilte er zuvor noch mit, dass er den Wecker auf fünf Uhr stellen werde (also etwas mehr als zwei Stunden, bevor er bei uns sein musste), um ganz sicher nicht zu spät zu kommen. Kein Wunder also, dass er meist überpünktlich kam. Die Wartezeit konnte er dann dazu nutzen, um seine Gedanken mit uns zu teilen. Jeden Morgen beim zur Tür Hineinkommen gab es erstmal einen netten Spruch, wie „Guten Morgen, alles frisch und munter? Ah, mehr frisch als munter!“ Er lief dann gleich weiter in die Wohnung hinein, um die „Gesprächspartner“ auch sehen zu können. Eine weitere seiner morgendlichen „Grußformeln“ lautete: „Morgen, Morgen, nur nicht heute!“


Immer, wenn er mit mir bei uns gerade in den Lift eingestiegen war, fragte er mich, ob ich gut geschlafen hätte. War meine Antwort positiv, kam von ihm: „Des isch d’Hauptsach!“ Ebenso gerne redete er über das Wetter, vor allem, wenn es mal wieder so wechselhaft war, dass „du nie worsch, was ahziah söllsch“ oder sonnig, aber eher kühl, denn da ergibt sich das Problem „Kaum isch’s windstill, kriegsch scho an Sunnabrand!“ Dass die Sonne ohne Wind stärker scheinen kann, war mir bis dahin noch nicht bewusst. Wenn auf der Straße ein Auto vor ihm zu langsam fuhr, ärgerte er sich oft: „Immer diese Sonntagsfahrer!“


Wenn er in den ersten Monaten mal nicht früher da war, hatte er dafür ordentlich Verspätung. In diesen Fällen hatte er aber meist schnell eine Erklärung, wie, jemand habe die Tiefgarage bei seinem Wohnblock zugeparkt. Einmal lag es daran, dass „sie“ den Wecker versteckt habe, doch er versicherte uns, es werde nicht mehr vorkommen, denn: „I hob sie scho zur Red g’stellt!“ Wer den Wecker wirklich versteckt hat, ist nicht ganz klar, da er eigentlich allein lebte.


Glücklicherweise kamen die Verspätungen bald kaum mehr vor. Jedoch begab es sich eines frühen Nachmittags, als ich um zwanzignacheins Schulende hatte, dass er die Zeit komplett übersehen haben musste, vielleicht sogar verschlafen. Denn nach einiger Zeit bemerkte meine Mutter, dass es vielleicht ein Problem gibt, da er mit mir noch immer nicht zu Hause bei ihr angekommen war, weshalb sie ihn anrief. Sie erzählte mir im Nachhinein, er habe am Telefon so verwirrt, als hätte man ihn gerade aus dem Tiefschlaf gerissen, schnell irgendetwas mit „Tiefgarage…“ gestammelt.


Ziemlich früh erfuhren wir von ihm auch schon, dass er einen Magenring hatte, der ihm beim Abnehmen helfen sollte. Da das seiner Meinung nach noch nicht genug Information war, beschrieb er uns auch detailliert die Probleme, die dieser mit sich bringe, wie zum Beispiel, dass er das Gegessene dadurch manchmal nicht „drinnen“ behalten könne. Wenn er dann nach dem Frühstück erbreche, müsse er sicherheitshalber anschließend einen zweiten Semmel essen, da er nicht sicher sein könne, ob er den ersten im Magen behalten habe. Die dicken Tabletten, die er jeden Morgen schlucken musste, waren das zweite Problemfeld, denn wenn ihm eine davon im Magenring hängenbleibe „kaasch da ganze Tag fagessa!“


Er hatte auch eine genaue Vorstellung, was er mit einem Lottogewinn machen würde, wenn er denn Lotto spielen würde. Einen Bauernhof würde er kaufen, um dann friedlich und entspannt auf dem Land zu leben. Manchmal spielte er dann doch Lotto, hatte dabei aber immer immenses Pech, da fast jede seiner Zahlen nur um eins oder zwei zu hoch oder zu niedrig gewesen sei. Dass seine Oma Südtirolerin war, er aber nie von ihr oder sonst wo italienisch gelernt hatte, bedauerte er ebenfalls sehr, da er damit am Arbeitsmarkt deutlich mehr Möglichkeiten gehabt hätte. Wenn er dann, wie er weiter ausführte, auch noch in der Lage wäre „Jugoslawisch“ zu sprechen, könnte er beruflich überhaupt viel mehr machen.


Kurz vor den Sommerferien, als er mich von der Schule holte, wies ein Lehrer ihn darauf hin, dass der morgige Schultag in der Kirche enden würde und man mich direkt dort abholen könne. Er hätte Heinz auch mit Freude angeboten, selbst in die Kirche zu gehen, doch dessen Antwort: „I halt ned so viel vo derra Kirche!“, war seine eigene (besonders ehrliche) Art, „höflich“ abzulehnen.


Oft, wenn er bei uns zu Hause etwas sah oder mitbekam, meinte er, dass er gerade etwas ähnliches mache oder einmal mit „am Kolleg‘ “ gemacht habe. In viele seiner Aktivitäten schien ein Kolleg‘ involviert zu sein, zum Beispiel beim Kochen: Da meine Mutter zufällig darüber redete, erzählte er, auch mal ein Fleisch gekocht zu haben, eben mit einem Kollegen. Dazu habe es Blaukraut gegeben, das er für einen noch besseren Geschmack immer mit Sahne verfeinere. Wie er ein anderes Mal berichtete, hatte er zu Hause außerdem ein spezielles „Pommes-Salz“. Als er mich einmal von der Schule heimgebracht hatte, meinte er, aus der Küche rieche es nach Curry. Eigentlich war der Geruch eher etwas unangenehm, denn sein Ursprung war die offenstehende Geschirrspülmaschine.


Anfangs fuhr er uns noch mit seinem Auto und musste uns dazu auf den Beifahrersitz heben. Da ein solcher Transfer für meinen Bruder langsam schwieriger und unangenehmer wurde, vertrauten wir Heinz unser Auto an. Nachdem mein Bruder dann die Schule abgeschlossen hatte, wurde ich auch mit unserem Auto gefahren. Das Arbeitsamt wollte ihn immer wieder in eines der zweifelhaften Arbeitslosenprogramme bringen, obwohl er bei uns einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen konnte. Angesichts dieser unflexiblen, eindimensionalen Bürokratie bemühte er oft den Spruch: „Nicht ärgern, nur wundern!“ Ein paar Mal konnten die Versuche erfolgreich abgewendet werden, doch irgendwann kam er nicht mehr aus und musste Anfang 2019 für vier Monate irgendeine Fabrikarbeit antreten. Somit hörte er mit den Weihnachtsferien bei uns auf und als seinen Nachfolger fanden wir einen gewissen Gerhard.

2 Kommentare

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Gast
10. Mai 2023
Mit 5 von 5 Sternen bewertet.

Hallo Paul

Deine Blogs sind sehr lustig und gut geschrieben .

Ich ziehe den Hut vor dir ,daß du trotz deiner Krankheit noch so positiv bist..

Liebe Grüße und alles Gute.

Hildegard Dörler

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Paul Wechselberger
Paul Wechselberger
11. Mai 2023
Antwort an

Vielen Dank! Hat es einen bestimmten Grund, warum Sie gerade bei DIESEM Text kommentiert haben😉?

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