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Faule Franziska furzt auch gerne mal

  • Autorenbild: Paul Wechselberger
    Paul Wechselberger
  • 21. Sept. 2023
  • 7 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 16. Mai

Eine dicke Frau liegt auf dem Sofa in unserem Wohnzimmer und lässt mehrere laute Winde aus ihrem Darm entweichen, während mein Bruder und ich direkt daneben auf dem Teppich sitzen. Das klingt doch schon nach einer Person, über deren Anwesenheit man sich wirklich freut! So empfand ich es leider auch oft. Bereits unser erster Eindruck war eher bescheiden gewesen, was zugegebenermaßen vielleicht auch an Vorurteilen lag, die wir gegenüber ihr aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes hatten. Allerdings muss man im Nachhinein dazusagen, dass sich diese mit der Zeit auch bestätigten.


Aber erstmal ein paar weitere Informationen über diese Frau: Sie hieß Franziska (Name geändert) und war mehr oder weniger direkt vor Selma (und Wolfgang) ungefähr eineinhalb Jahre lang für uns angestellt. Sie hatte auch nahezu die gleichen Aufgaben: Uns Freitagmorgens zur Schule zu fahren und mehrmals wöchentlich von dort abzuholen, teilweise am Nachmittag mit uns zu Hause zu sein sowie nach Bedarf - sprich, wenn unsere Eltern etwas vorhatten - auch abends zu kommen. Mein Bruder ging ins Gymnasium und ich in die Volksschule, also fuhr sie oft zuerst zur einen, dann zur anderen Schule, und zwar in einer Tour, denn zu der Zeit konnte ich noch halbwegs gut gehen und nur mein Bruder hatte einen Rollstuhl. Somit war in ihrem Auto Platz für uns beide gleichzeitig.


Selten kochte sie auch für uns, wenn wir am Nachmittag keine Schule hatten und sie nach dem Abholen bei uns blieb. Ich kann mich nur noch an die deutlich zu weichen Tortellini erinnern, welche es die paar Male wohl immer gab. Die Sahnesoße, welche dazu gekocht wurde, roch und schmeckte etwas unangenehm. Die an sich dünnflüssige Konsistenz wurde durch mehrere kleine Rahmklümpchen erst so richtig interessant! Als Beilage aßen wir einen recht sauren Tomatensalat, den sie meinem Bruder einmal mit ihrer eigenen Gabel schöpfte, die sie davor bereits im Mund gehabt hatte.


Eines Nachmittags trafen wir mit ihr auf unsere Putzfrau, die noch nicht ganz fertig war mit der Wohnungsreinigung, weshalb wir die Gesellschaft beider „Damen“ genießen durften. Franziska schien leicht neidisch zu sein, da sie sich wohl dachte: Oh, und eine eigene Putzfrau haben sie auch noch! Jedenfalls fragte sie gleich, wie oft sie denn komme, was deutlich mit „alle zwei Wochen“ beantwortet wurde. Doch sie verstand, was sie verstehen wollte und wiederholte leise für sich: „Ah, zweimal in der Woche!“ Zum Abschied gab mir unsere Putzfrau, die sehr dick Lippenstift trug, einen Kuss auf die Stirn, sodass ein deutlicher Abdruck zurückblieb, was Franziska sehr belustigte, als es ihr kurz danach auffiel: „Ha ha, jetzt siehsch du wie ein Model aus, mit Knutschfleck!“, lachte sie vergnügt. In der Woche darauf kam ihr unsere Wohnung erneut besonders sauber vor, weshalb sie glaubte: „Oh, war eure Putzfrau wieder da!“ Dabei war innerhalb dieser Zeit niemand zum Putzen hier gewesen.


Als die Putzfrau das nächste Mal unsere Mutter sah, regte sie sich bei ihr auf, was für eine faule Person am letzten Nachmittag bei uns gewesen sei, die fast nur auf dem Sofa sitzen würde. Auch wenn unsere damalige Putzfrau selbst ihre Eigenheiten und nicht immer ganz angemessene Verhaltensweisen hatte, wie eben, bei meiner Mutter über eine Frau herzuziehen, die sie einmal bei uns daheim gesehen hatte: Ihre Aussage war doch recht zutreffend, denn Franziska saß oder lag wirklich viel auf dem Sofa, wenn sie nicht gerade etwas für uns machen musste. Damals brauchten wir auch noch nicht so viel Unterstützung und kamen in der Wohnung recht selbstständig aus. Deshalb fand sie genügend Zeit, um es sich immer wieder gemütlich zu machen. Solange es nichts zu tun gibt, ist das ja noch gut und recht. Ob man dazu aber noch laut furzen muss?


Logischerweise war sie froh, wenn es einfach möglichst wenig zu tun gab. Falls doch mal die Gefahr bestand, uns eventuell bei einer Sache helfen zu müssen, die nicht überlebenswichtig war, tat sie sicherheitshalber so, als sei sie nicht beteiligt: Als zum Beispiel meinem Bruder und mir an einem heißen Nachmittag auf der Terrasse sitzend die Idee kam, eines unserer Playmobilboote in eine Schüssel voll Wasser zu setzen und uns mit diesem Wasser ein bisschen anzuspritzen, ging ich nach drinnen, um ihr zu sagen, dass wir für draußen gerne Wasser hätten. Franziska aber kam nicht auf die Idee, sich vom Sofa zu erheben und ihre Hilfe anzubieten. Stattdessen drehte sie nur den Kopf in meine Richtung und meinte gähnend: „Denn gang’s ga holah!“ Laufen konnte ich damals ja noch, etwas Schweres wir eine Schüssel Wasser tragen eher weniger, spätestens bei der Türschwelle wäre Endstation gewesen. So viel wollte sie lieber nicht denken, denn das Sofa war doch gerade so gemütlich!


Wenn sie ab und zu am Abend da war, hoffte sie, dass wir möglichst früh im Bett sein würden, damit sie sich danach entspannen konnte. Während der Fußball EM 2012 wurde sie am Anfang eines Abends von unserem Vater vorgewarnt, dass mein Bruder und ich nachher Fußball anschauen würden. Schnell fragte sie: „Geht Fußball bis neun oder zehn?“, als könnte es nur eine dieser beiden Uhrzeiten sein. Leider musste man sie enttäuschen, dass das Spiel frühestens um halb elf zu Ende sei, sofern es nicht noch in die Verlängerung gehe.


Einmal war Franziska beim Abholen etwas zu spät, da sie zuerst meinen Bruder holte. Ich wartete bereits bei der Tür meiner Schule, als ihr Auto schließlich in den Hof einbog. Nachdem es zum Stillstand gekommen war, blieb sie jedoch erstmal im Auto sitzen. Erwartete sie jetzt etwa allen Ernstes, dass ich allein durch den Schulhof gehe, während ich auch noch meine Schultasche tragen muss? So weit kam es dann doch nicht, denn nach zwei Minuten stieg sie endlich aus. Sie hatte nur kurz im Auto telefonieren müssen und dachte wohl, jetzt sei ein guter Zeitpunkt dafür, obwohl sie sowieso schon spät dran war.


Irgendwann bekam sie, wenn wir über sie redeten, die Bezeichnung „das Monster“, was natürlich ziemlich gemein klingt, doch uns gegenüber verhielt sie sich ja auch nicht gerade sehr feinfühlig, wie man schon ab dem allerersten Satz erkennen kann. Ihr Verhalten hatte aber auch einfach manch Monströses, oder sagen wir zumindest, sie war oft ziemlich ungestüm und achtlos: Als ich mit meinem Bruder vor dem Fernseher saß, hörten wir aus dem Nebenzimmer, in dem sich das Monster gerade aufhielt und wo auch eine große Playmobillandschaft aufgestellt war, plötzlich einen ordentlichen Krach. Es klang, als sei sie am Kartonhaus mit der Krankenhauseinrichtung angestoßen, was auch anderen Leuten mal passierte. Aber so laut hatte es bei Weitem noch nie gekracht.


Sie kam aber nicht rüber, um irgendetwas dazu zu sagen, weshalb ich nach einig Minuten selbst schauen ging. Meistens, wenn jemand dort anstieß, fiel vielleicht das Dachteil herunter, doch jetzt fand ich ein regelrechtes Chaos vor: Alle zum oberen Stockwerk gehörenden Kartonteile lagen auf dem Boden verstreut. Als Erklärung bekam ich von Franziska, die natürlich weiterhin auf dem Sofa saß, dass sie sich auf die Couch habe legen wollen, wobei ihr das Kopfkissen hinten wohl auf das Haus hinuntergefallen sei. Immerhin war es mir möglich, alles wieder aufzubauen und zusammenzukleben.


Auch beim Laufen durch dieses Zimmer brachte sie unser sorgfältiges aufgebautes Playmobil manchmal durcheinander, indem sie beispielsweise ihre Handtasche neben sich her schleifte, sodass die Bändel auf den Boden hingen und dadurch manches mitgezogen wurde. Dann fiel ihr auf, dass sie den Anorak am Sofa liegengelassen hatte. Geistesgegenwärtig trug meine Mutter ihn gleich hinterher, bevor das Monster umdrehen konnte, sonst hätte es wieder die Tasche und womöglich noch den Anorak am Boden nachgeschleift und eine noch größere Verwüstung angerichtet.


So viel zum Umgang mit unseren Spielsachen, aber wie ging sie mit uns um? Normalerweise ging es einigermaßen, wenn sie uns fuhr, doch an manch verschneiten Tagen erlebte ich nicht gerade Wünschenswertes. Im Pausenhof der Volksschule gab es eine Rampe sowie eine Stiege mit etwa fünf Stufen. Die Rampe hatte kein Seitengeländer und war völlig schneebedeckt, also wollte ich sie nicht betreten. Mir blieb folglich nur die Stiege: Die hatte zwar ein Geländer, aber Schnee lag hier auch und das Treppensteigen war für mich ohnedies sehr schwierig. Es gab also nur die Möglichkeit, dass sie mich die paar Stufen hinuntertrug. Dort blitzte wieder ihre Monstrosität auf und statt beide Arme zu benutzen, klemmte mich das Monster einfach seitlich unter einen Arm und ging so die Treppe hinunter. Ich hatte keinen guten Halt und rutschte mit jeder Stufe ein kleines bisschen nach unten, wodurch sie am Ende große Mühe hatte, mich wieder sicher auf die Beine zu bringen.


Als im Wetterbericht mal wieder Schnee angekündigt wurde, rief sie unsere Mutter an, sie könne morgen nicht kommen, weil: „I fahr ins Dütsche!“ Ob es ihr wirklich erst einen Tag vorher einfiel, dass sie plötzlich dringend nach Deutschland musste, oder sie nur ein weiteres Schneechaos umgehen wollte: Ich war heilfroh, nicht nochmal so die Treppe hinuntergezehrt zu werden!


Mit der Ehrlichkeit hielt es Franziska sowieso nicht immer ganz so streng, da sie dachte, unbemerkt damit davonkommen zu können. Zu ihr und in ihrer Anwesenheit generell sagten wir ja nicht viel. Dass Kinder mit ihren Eltern mehr reden und ihnen in diesem Alter auch Dinge auffallen, ahnte sie offensichtlich nicht. Wenn sie beim Heimbringen meines Bruders von der Schule eine Abkürzung fuhr, schrieb sie dann in der Abrechnung hin und wieder aber die normale Fahrstrecke auf, sodass es mehr Kilometergeld gab, als sie eigentlich gefahren war. Ein anderes Beispiel ist, als sie am Nachmittag bis zu einer bestimmten Uhrzeit, die zuvor ausgemacht worden war, bei uns bleiben sollte und wir danach einige Minuten allein sein würden: Da sie also nicht auf unsere Mutter traf, nutzte sie die Situation voll aus und machte sich bereits eine Viertelstunde früher vom Acker als eigentlich abgesprochen war.


Was ihre eigene Mutter dazu wohl sagen würde? Die haben wir übrigens auch kurz kennengelernt, da sie selten mal am Nachmittag im Auto mitfuhr. Sie wirkte nicht so viel älter als Franziska selbst und machte auch den deutlich frischeren, lustigeren und gesprächigeren Eindruck. Als sie bei uns zu Hause die Massen an Playmobil sah, meinte sie lachend, dass sie sich dort gleich dazusetzen und mitspielen könnte.


Vereinzelt versuchte auch Franziska, lustig zu sein, wobei die Betonung aber eher auf „versuchen“ liegt. Wenn sie mit uns zu Hause ankam, verkündete sie meistens: „So, jetzt sind wir dada!“ Über ein Flugzeug, das sie am Himmel erblickte, scherzte sie: „Das Flugzeug fliegt von Hongkong nach Bongkong!“ Bei Dingen, für die sie uns beiden helfen musste, wie Schuhe ausziehen, ging sie zuerst zu meinem Bruder, sagte „Einmal Zwetschge…“ und wenn sie dann bei mir weitermachte, fuhr sie fort: „…und zweimal Zwetschge!“


Es kam der Tag, da musste Franziska den Fahrdienst aufgeben, denn dadurch, dass sie uns in ihr Auto heben musste, hatte sie Armbeschwerden bekommen. Zwar wäre sie weiterhin gerne an manchen Abenden gekommen, doch wir hatten kein Interesse mehr daran, jemanden fürs „Sofafurzen“ zu bezahlen.

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02 de out. de 2023

Euch ist auch nichts erspart geblieben!!!

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